Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
wie ein Löwe … und dann war mir alles egal. Das wird Akzeptanz genannt, war es aber nicht. Es war das, was passiert, wenn einem nur zwei Möglichkeiten bleiben: mit dem Monster zu leben oder sich umzubringen.
Nur dass einem niemand erlaubte, sich umzubringen. Es galt als Verbrechen, was blödsinnig war. Ärzte durften einem dabei nicht helfen, ohne sich strafbar zu machen. Alex kannte ein anderes Mädchen, ebenfalls todkrank, das Selbstmord begehen wollte. Mit Tabletten und Whiskey. Nachdem man ihr den Magen ausgepumpt hatte, sperrte man sie in die Psychiatrie, weil man sie für depressiv hielt.
Tja, wie waren sie darauf nur gekommen? Es sollte mal einer versuchen, mit einem Monster im Hirn zu leben, und dann gucken, ob er nicht auch ein bisschen depressiv wurde.
Also hatte sie letztlich überhaupt keine Wahl. Entweder lebte man mit dem Monster, oder man tat, was sie getan hatte: Carpe diem und ausbrechen.
Sie sollte jetzt ausbrechen. Winter hin oder her, sie sollte das Weite suchen, ehe es zu spät war. Klar, wahrscheinlich würde sie sterben, so allein dort draußen, aber wenn sie noch lange wartete, würde sie sich vollends von dem Glauben einlullen lassen, dass all das hier – Rule, das Leben, das man ihr vorbestimmt hatte, Chris – ihre beste Wahl sei. Dann würde sie sich mit dem begnügen, was andere für sie wollten.
So gesehen gab es eigentlich zwei Monster: das eine, das in ihrem Hirn saß – und Rule.
Am Ende wäre sie tot, so oder so.
Hau ab , sagte sie sich, renn los, du Närrin, mach schon!
Aber sie tat es nicht. Es ging nicht. Sie … konnte einfach nicht.
59
H eiligabend stürmten Plünderer in die Zone. Wer sie auch waren, offenbar hatten sie gedacht, jeder in Rule säße mit Eierflip und gerösteten Kastanien zu Hause (was nicht der Fall war). Und Peter, der nicht aus seiner Haut konnte und nie einer Auseinandersetzung aus dem Weg ging, war sofort kampfbereit. Die Wachen sperrten Alex und die anderen Mädchen im Haus ein, wo sie den größten Teil der Nacht am Holzofen kauerten und den erbitterten Kampf nur hören konnten: Keckern und Krachen und durchdringendes Knattern, das nach vollautomatischen Waffen klang. Die anderen Mädchen dösten, aber Alex blieb hellwach, mit brennenden Augen und einer Gänsehaut vor Angst. Ihre Gedanken überschlugen sich, jede neue Sorge gab einer weiteren Nahrung. Anfangs hatte sie die unausgegorene Idee gehabt, dass sie vielleicht in dem nachfolgenden Chaos abhauen könnte, aber jetzt dachte sie nur noch an Chris: der dort draußen kämpfte, auf den geschossen wurde. War er in Sicherheit? Was passierte da? Himmel, wenn sie doch nur helfen dürfte!
Als endlich der erste schwache Schimmer einer kalten Wintermorgendämmerung die Bäume aus dem Dunkel treten ließ, wurde es still im Wald, und sie erfuhren, dass der Kampf vorbei war.
»Wie viele Männer haben wir verloren, Nathan?«, erkundigte sich Jess bei der Wache, die die Nachricht brachte. Die Knöchel der Hand, mit der sie den Schal um ihren Hals umklammerte, traten weiß hervor.
»Zehn sind tot, etwa ebenso viele verwundet, drei davon schwer.« Nathan hatte die kompakte Statur eines Hydranten, doch die Stimme des ergrauten Mannes war überraschend hell und melodisch. »Hätte schlimmer kommen können.«
Alex hatte es den Atem verschlagen. Lenas Augen verengten sich zu wachsamen Schlitzen, Sarah war totenblass geworden.
»Was ist mit den Jungs?«, wollte Jess wissen. »Was ist mit Chris?«
»Ist Peter verletzt?«, fragte Sarah im selben Moment. »Ist er …«
»Ihm fehlt nichts«, sagte Nathan, dann richtete er den Blick auf Alex. »Chris ist auch okay.«
Mit dieser Woge der Erleichterung hatte sie nicht gerechnet, sie brandete ihr durch die Adern und ließ ihre Knie weich werden. Zu spät merkte sie, dass Jess ihr einen prüfenden Blick zuwarf.
»Und Greg?«, fragte Tori mit sorgenvoller Miene.
»Na ja«, Nathan schlug die grauen Augen nieder, »Greg hat was abgekriegt …«
Tori schnappte nach Luft und schlug sich die Hand vor den Mund. »Wie schlimm? Ist er … wird er …«
»Der Doc sagt, er kommt wieder auf die Beine. Hat nur viel Blut verloren.«
»Darf ich ihn besuchen?«
»Der Befehl lautet, dass ihr alle hierbleiben müsst.«
»Lass mal, Tori, ich gehe. Kincaid wird meine Hilfe brauchen«, sagte Alex, doch Nathan schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Befehl ist Befehl«, erwiderte Nathan unerbittlich. »Hier seid ihr sicher. Wenn der Doc deine Hilfe will, wird er mir
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