Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
gehauchten, ekstatischen Stöhnen glich. Schnee umhüllte seinen Rücken, schmolz auf seiner Haut, aber er fror nicht. Für ihn war Kälte zu etwas Abstraktem geworden, kaum mehr als das schwache Funkeln eines fernen Sterns.
Ich bin wie neu. Er fühlte die Gegenwart dieses geflügelten Dings, das schon seit Tagen in ihm gewachsen war, pulsierte und anschwoll. Sein tiefes murmelndes Rauschen verstärkte sich. Ja. Peter schlug sich mit der Faust auf die Brust. Ja, ja! Auch wenn er splitternackt war und vielleicht völlig durchgeknallt – jetzt war seine Zeit gekommen, sie gehörte nur ihm. So etwas wie mich hat die Welt noch nicht gesehen. Ich bin ein verdammter Krieger, ich …
Ein dumpfes Geräusch aus weiter Ferne. Das sich wiederholte. In seinen Ohren klingelte es, während sein Gehirn folgerte: Schritte auf Schnee, die näherkommen. Lang. Oder Finn. Ihm waren beide recht. Er fuhr hoch und sprintete über den Holzbohlenweg zu einer Biegung, wo, wenn er sich recht erinnerte, die Hemlocktannen ziemlich dicht standen – das perfekte Versteck, weil niemand daran dachte, nach oben zu schauen. Seine Füße patschten auf Schnee, ein dumpfes Pam-Pam-Pam-Pam. Eigentlich müsste ihm die Kälte in die Fußsohlen schneiden, aber er spürte nicht den geringsten Schmerz, nichts Eisiges, das ihm ins Fleisch fuhr. Der Wind zauste sein blondes Haar. Sein Herz schlug kräftig und regelmäßig, angetrieben von der manischen Ekstase dieses geflügelten Dings und der Freiheit.
Vor ihm schälten sich die Tannen aus dem Halbdunkel heraus. Da entdeckte er zu seiner Rechten eine knorrige Rotkiefer. Die eignete sich sogar noch besser, weil die untersten Äste höher waren als bei den Tannen, gut zwei Meter über dem Boden, und so dick wie seine Oberschenkel. Er grub die Zehen in den Schnee, stieß sich federnd ab und rannte in geduckter Haltung los. Der Gedanke, dass er abrutschen könnte, kam ihm gar nicht. Als Junge war er noch höher hinaufgeklettert und hatte mehr riskiert. Allerdings blitzte kurz die Erkenntnis in ihm auf, dass er kein federleichtes Kind mehr war, das in sein Baumhaus kletterte, um dort zu lesen, vor sich hin zu träumen oder heimlich Zigaretten zu rauchen. Dass er ein ziemliches Risiko einging. Und woher nahm er eigentlich die Kraft und die Kondition?
Dann hörte er auf zu denken und sprang einfach. Seine Handflächen stießen auf Holz, die Finger fanden Halt, und nun zog er sich vom Schnee hoch und machte einen Aufschwung wie ein Turner am Reck. Dabei hievte er ein Bein über den Ast, setzte sich rittlings darauf, zog dann erst den einen, dann den anderen Fuß nach und stellte sich hin. Rechts von ihm ragte ein weiterer Ast im Dreißig-Grad-Winkel heraus, den er mit gespreiztem Bein gut erreichen konnte. Jetzt befand sich der Weg direkt unter seinen gegrätschten Beinen.
Peter zog einen dünnen, dornartigen Knochen aus seiner blonden Mähne hervor. Diese Nadel, die er zwischen den Pobacken versteckt hatte, stammte von jenem linken Fuß. In den letzten Wochen hatte er sie mit viel Mühe zurechtgeschliffen und jetzt war sie bestens geeignet, um jemandem das Auge auszustechen oder die Kehle zu durchbohren. Wenn alle Stricke rissen, hatte er natürlich noch das Messer. Und Hände und Zähne. Aber diesen Knochen wollte er zu gern mal ausprobieren.
In seinen Ohren prickelte das Atemgeräusch eines Mannes, dazu quietschendes Knirschen von Schnee. Wart ab, warte … Tief in ihm lauerte – atemlos, angespannt – auch dieses Flügelding. Dann war Lang da, trottete direkt unter ihm vorbei: ein gebeugt schlurfender alter Mann in olivgrünem Tarnanzug.
Jetzt. Peter sprang. Eine Millisekunde war er im freien Fall, spürte den Wind in den Ohren. Im allerletzten Moment musste Lang etwas gemerkt haben, denn Peter sah ein verdutztes Gesicht aufblitzen, und dann die schwarzen Löcher von Langs Augen. Augen, Augen im Dunkel, Augen in Stein . Peters Füße knallten gegen Langs Stirn, der Aufprall stauchte ihm die Fersen und ließ seine Schienbeine vibrieren. Ein erschrockenes Ah drang aus Langs Mund. Kaum war Peter im Schnee gelandet, wälzte er sich herum und sprang auf, um Lang, der auf dem Rücken lag und an seinem Blut würgte und keuchte, in die Mangel zu nehmen. Lang sah ihn kommen und wollte schützend die Hände heben, doch Peter schlug sie weg und ließ sich auf Langs Brustkorb fallen. Als der Alte ihn abzuschütteln versuchte, verpasste Peter ihm einen heftigen Hieb. Es krachte, als Langs Nase brach, und jetzt
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