Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Ellies konnte es hier in der Gegend nicht geben. Das Alter passt auch. Bestimmt ist sie das.
»Chris, was ist los?« Über Ellies Nase bildete sich eine Sorgenfalte. »Ist dir schlecht? Tut es wieder schlimmer weh?«
»Ich …« Seine Zunge wollte ihm nicht gehorchen. Voller Entsetzen dachte er: Ich kann es nicht sagen. Darf nicht. Vielleicht ließen sie ihn sonst hier sterben. Oder sie brachten ihn um. »J-ja, es … tut weh«, stammelte er, und das war nicht mal eine Lüge.
»Ellie?« Das war Hannah. »Ist er …«
»Komm lieber rein. Er sieht nicht so gut aus.« Ellie rutschte zur Seite und schlug eine verknitterte Ecke der Rettungsdecke zurück. Ein Lichtstrahl drang ins Halbdunkel. Jetzt erst konnte Chris erkennen, dass ihn das Scheunentor fast einen halben Meter tief in die Schneewehe gedrückt hatte, bis es von selbst stecken geblieben war. Auch das Blut sah er nun deutlicher.
Nein. Wieder krampfte sich seine Brust vor Entsetzen zusammen. Beim Ausatmen malte sein Atem kleine rote Riffeln in den Schnee. … Das ist zu viel. Hab zu viel Blut verloren …
Jenseits der Grenzen seines Kerkers aus Schnee und Nägeln und Blut hörte er das Begrüßungsgebell eines Hundes, und dann sagte Ellie: »Was?« Es folgte eine Pause, bevor das ältere Mädchen etwas murmelte. »Ja«, erwiderte Ellie, »da ist eine Menge, und ich hab gespürt, dass immer noch mehr kommt. Es breitet sich nicht aus, aber …« Offensichtlich begriff jemand da oben, dass es für ihn nicht so toll wäre, das mitzuhören, denn die Rettungsdecke wurde runtergeklappt und es herrschte wieder Dunkelheit.
Sie reden über das Blut. Er unterdrückte einen Schrei. Es breitet sich nicht aus, weil es in den Schnee unter mir sickert.
Gleich darauf hörte er ein Rascheln, es wurde wieder heller. Dann tauchte eine behandschuhte Hand auf, dahinter ein Arm, eine Schulter, und schließlich rutschte ein Mädchen auf dem Rücken in die Schneekuhle herunter.
»Hi.« Kurz vor der Blutlache, in der er lag, verharrte sie, schob sich ihren dicken, buchweizenbraunen Zopf von der Schulter und wandte sich ihm zu. »Ich bin Han…« Jäh verstummte sie und starrte ihn ungläubig an.
»O mein Gott«, flüsterte sie und schlug sich die Hand vor den Mund. »Simon?«
16
»Was?« Seine eigene Stimme klang weit weg, schmerzumnebelt. »Wer?«
»Ich …«, begann sie, dann sah er ihr in die Augen, die die Farbe von Ascheflocken hatten, und merkte, wie ihr Blick auf seinen Hals fiel. Skeptisch zog sie die Brauen zusammen. »Was hast du gesagt, wie du heißt?«
»Cuh-Chris«, knurrte er mit trockener Kehle. »Prentiss.«
»Ach so.« Noch einmal musterte sie ihn genau, dann schien sie sich zu entspannen. Sie zog die Handschuhe aus und legte zwei Finger an seinen Hals. »Tut mir leid. Ich bin Hannah. Ich möchte dir helfen. Lass mich deinen Puls fühlen.«
»W-wie …« Er schluckte trocken. »Wie sch-schlimm …?«
»Schsch.« Ihre Lippen bewegten sich lautlos, während sie den Sekundenzeiger ihrer Armbanduhr im Auge behielt. »Wie geht es mit dem Atmen?«
»T-tut weh. Ist schwer …«
»Als würdest du nicht genug Luft bekommen?« Mit ihren grauen Augen betrachtete sie sein Gesicht. »Und die Schmerzen?«
»Wie M-M-Messer.« Mit schmerzverzerrter Miene saugte er Luft ein. »Wird … wird …«
»Schwieriger zu atmen?« Schwerfällig brachte er ein Nicken zustande, worauf sie fortfuhr: »Ist der Schmerz auf einer Seite schlimmer?«
»R-rechts.« Er schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. »Wie schlimm?«
»Ziemlich.« Ihre Finger betasteten seinen Adamsapfel, dann verdüsterte sich ihr Blick. »Wo tut es noch weh?«
»B-Bauch.« Seine Zunge war so geschwollen, dass er zu ersticken fürchtete. »R-R-Rücken.«
»Der Rücken ist klar. Die Tür ist ziemlich schwer. Kannst du die Zehen bewegen?«
Er war bisher nicht auf die Idee gekommen, es zu versuchen, und konzentrierte sich, schickte den Befehl hinunter zu seinen Füßen. Nach ein paar sorgenvollen Sekunden spürte er den Widerstand der Wolle, aber das Gefühl war weit weg, als würde das Signal durch ein sehr langes, träges Kabel übermittelt. »Ja.«
»Gut«, meinte sie, aber ihr Gesichtsausdruck sagte das Gegenteil. »Hör zu, ich werde meine Hand hier drunter schieben und ein bisschen auf deinen Bauch drücken. Ich mache das so sanft wie möglich, aber ich muss etwas prüfen, okay?«
Er stählte sich, als ihre Finger unter seinen klatschnassen Parka glitten und sich an seiner rechten
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