Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
um die Ohren flog, würde er vielleicht ein bisschen Zeit gewinnen. Denn etwas anderes blieb ihm nicht mehr: keine Luft, keine Waffe, kaum noch Kraft. Keine Alternativen.
Leider schienen Schusswaffen nicht nach ihrem Geschmack zu sein, oder sie hatte ein anderes Ende für Tom im Sinn. Knurrend rammte sie die linke Hand unter sein Kinn. Seine Halsmuskeln spannten sich instinktiv an. Tom versuchte sie abzuwerfen wie ein Pferd seinen Reiter, aber trotz der Steine bot ihm der Tiefschnee keinen Widerstand. Er war so tief eingesunken, dass seine Hüften und Beine höher lagen als der Rest. Es war, als würde er in einer Badewanne ums Überleben kämpfen. Wird man an den Fußknöcheln hochgezogen, hat man keine Chance, den Kopf über Wasser zu bekommen. Und wenn man lang genug in dieser Position gehalten wird, ertrinkt man. Also blieben Chucky zwei Möglichkeiten: ihn in den Schnee zu drücken, bis er erstickte, oder ihm den Kehlkopf durchzubeißen. Er konnte nicht ewig gegen sie ankämpfen, sie saß auf ihm, drückte mit ihrem ganzen Gewicht auf seine Brust, und wenn er nachgab …
Wenn ich nachgebe. Es war kein richtiger Gedanke, eher ein letztes Aufbegehren. Völlig unerwartet hörte er auf, Widerstand zu leisten, seine Schultern entspannten sich, sein Hals dehnte sich. Da spürte er das Zittern in Chuckys Knien, sie begann zu rutschen, und ihr Schwerpunkt verlagerte sich. Sie konnte ihr Gleichgewicht nicht halten und machte einen Satz nach vorn.
» AAAH !«, brüllte Tom, und der Schrei war schon verhallt, ehe ihm klar wurde, dass er selbst ihn ausgestoßen hatte. Er bäumte sich auf, seine Rechte war plötzlich frei und krallte sich in ihren Parka. Mit aller Kraft zog er sie herab, gleichzeitig schnellte er mit dem Kopf vor. Es gab ein lautes KONK , als sein Stirnknochen gegen die zarte Wölbung ihrer linken Augenbraue krachte. Tom hatte einen Volltreffer gelandet, denn er spürte, wie ihre Augenhöhle nachgab und der Schock ihren ganzen Körper erschlaffen ließ.
Chucky heulte nicht auf und brüllte auch nicht. Dafür hatte sie weder die Zeit noch genug Atemluft. Benommen kippte sie nach rechts, und Tom ging mit, nutzte ihr Gewicht als Drehmoment. Aber selbst jetzt noch – mit einer klaffenden Bauchwunde, auf einem Auge blind und wahrscheinlich mit wahnsinnigen Schmerzen – spürte sie, was er vorhatte. Irgendwie schaffte sie es, ihre Hände hochzureißen, und schlug mit krallenartigen Fingern wild um sich, um etwas von ihm zu fassen zu kriegen: seinen Parka, seinen Arm, was auch immer. Doch glücklicherweise hatte sie kein Messer, und er war im Vorteil.
Sie lagen Rücken an Bauch hintereinander, vorne Chucky, hinten Tom. In einem Roman hätte Tom ihr jetzt das Genick gebrochen. Eine rasche Drehung, ein Knacken, Ende. Aber dieser Griff, der im Fernsehen oder im Kino so einfach aussieht, ist reiner Humbug. Das Genick ist viel stabiler, als man denkt.
Stattdessen hakte er den rechten Arm unter ihr Kinn, während seine linke Hand gegen ihren Hinterkopf drückte. Dann umklammerte er mit der Rechten seinen linken Arm, um den Druck des Würgegriffs zu verstärken …
Und spürte etwas, das nicht dorthin gehörte.
Bei einem solchen Würgegriff genügt es, acht bis zehn – maximal dreizehn – Sekunden lang Druck auf die Halsschlagader auszuüben, und selbst ein stämmiger breitschultriger Gegner mit einem Stiernacken verliert das Bewusstsein.
Es sei denn, dieser Gegner ist klug genug, seinen Hals zu schützen.
Was bei Chucky offenbar der Fall war – denn was sich da um ihren Hals schmiegte, war ein Lederhalsband mit einem D-förmigen Metallring. Herrgott noch mal, ein Hundehalsband? Hektisch versuchte Tom, seinen Griff anzupassen und den Arm höher anzusetzen, direkt unter ihre Ohren, aber sie wälzten sich im Schnee, und ihn verließen bereits die Kräfte, seine Muskeln begannen zu erschlaffen. Da rutschte sein Arm ab.
Ihre Reaktion kam prompt. Sie wand sich, riss den linken Arm hoch und nach hinten, zielte mit den Fingern auf seine Augen. Toms Kopf zuckte nach rechts, aber er erkannte zu spät, dass dieser Reflex ein Fehler war, weil Chucky genau das erwartet hatte. Ihr angewinkelter rechter Ellbogen schoss nach hinten, die knochige Spitze rammte sich in seine Rippen. Vor Schmerz wurde ihm schwarz vor Augen, er würgte. Er nahm vage wahr, wie sie sich wegdrehte, und ihm wurde klar, dass er nicht länger im Vorteil war. Steh auf, raus aus dieser Kuhle, hol dir die Bravo! Das konnte ein Fehler sein, weil er
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