Ashes - Ruhelose Seelen (German Edition)
Chucky dabei den Rücken zukehren musste. Aber er sah einfach keine andere Möglichkeit. Sie war stark, und er konnte nicht ewig weiterkämpfen. Dass sie sogar auf die Idee gekommen war, einen Schutz um den Hals zu tragen, war doch eine neue Dimension des Irrsinns. Und er konnte auch nicht darauf warten, dass sie verblutete, denn bei einer Bauchverletzung konnte das eine ganze Weile dauern. Er stieß sie nach links, dann ließ er los, drehte sich nach rechts und kam in den Kniestand.
Aber nicht weiter. Denn sie trat ihm heftig von unten ins Kreuz. Eine rote Schmerzwelle schoss durch sein Rückgrat, und er stieß ein ersticktes UNGG ! aus. Schon krümmte er sich wieder bäuchlings im Schnee, hustete und versuchte wegzukriechen. Jeder Nerv vibrierte, jeder Muskel zitterte. Durch den Stoß ins Rückgrat fühlte er sich schlaff und knochenlos wie eine Qualle. Unter plötzlichen Schmerzenstränen blinzelnd erkannte er seinen Rucksack und die Bravo, doch sie war so weit weg! Aber dann bemerkte er etwas anderes, viel näher, gerade mal dreißig Zentimeter vor seiner Nase …
Schnee knirschte, Steine spritzten. Da Tom die Sonne im Rücken hatte, sah er den tintenschwarzen Schatten über den Schnee auf sich zukriechen, als Chucky erneut angriff.
Mit einem Urschrei hechtete er vor, schnappte sich mit einer Hand den vor ihm liegenden Skistock und drehte sich blitzartig auf den Rücken, sodass der Stock durch die Luft pfiff. Und jetzt war Chucky kein schwarzer Schatten mehr, sondern ein Geschoss in Weiß und Rot, das ihm entgegenflog …
Im allerletzten Moment zog er die Arme an. Sie sah, was er vorhatte, und versuchte sich in der Luft zu drehen, aber sie war nun mal keine Katze, sondern eine durchgeknallte, wenn auch sehr intelligente Chucky, und schaffte es nicht.
Mit einem Schrei stürzte sie herab, und die Stahlspitze des Skistocks bohrte sich knapp unterhalb des Brustbeins in ihren Körper. Unter der Wucht ihres Aufpralls knickten Tom beinahe die Arme ein. Wie durch ein Wunder brach der Fiberglasstock nicht entzwei, sondern hielt dem Gewicht von Chucky stand, die Arme und Beine von sich streckte.
Ja! Den Stock fest umklammert, stieß und rüttelte Tom, ließ aber keine Sekunde locker. Diese Waffe würde er nicht wieder hergeben. Wie es ihm gelang, sich aufzurappeln, wusste er nicht, aber dann stand er da, vorgebeugt, auf den Oberschenkeln abgestützt, während auch sie, noch immer den Stock im Bauch, auf die Beine kam und die Hände darum legte, als wollten sie jetzt eine abartige Variante von Tauziehen spielen. So verharrten sie eine Sekunde, die Tom wie eine Ewigkeit vorkam.
In diesem Augenblick erkannte Tom schließlich, was mit dieser Chucky nicht stimmte – und was für merkwürdige Augen sie hatte: nicht nur fiebrig vor Mordlust, sondern unstet zuckend und mit so großen Pupillen, dass von der Iris nur ein schmaler Rand zu sehen war.
Und in diesen Augen war kein Weiß. Überhaupt keins. Sie waren blutunterlaufen und so tiefrot, als hätte man die Augäpfel mit einem Löffel herausgeschabt, sodass nur noch die schmutzig-blutigen Höhlen übrig geblieben waren.
Mein Gott. Der Anblick ging ihm durch und durch. Woher kommst du? Was bist du?
Wie zur Antwort verzogen sich ihre Lippen zu einem orangeroten Grinsen.
»Zum Teufel«, keuchte Tom. »Stirb endlich.« Mit aller Kraft hob er sie an dem Stock hoch, schleuderte sie in den Schnee wie ein Angler, der einen aufgespießten Fisch in den Ufersand wirft, und legte sein ganzes Gewicht in einen letzten, tödlichen Stoß.
Und dann war es vorbei.
Fast.
Tom war ausgelaugt, das Adrenalin, das ihn so lang vorwärtsgepeitscht hatte, sickerte jetzt mit seinem Blut aus seinem Körper, und die Knie wurden ihm weich. Zitternd wankte er zurück, bis er eine eisige Felsnase im Nacken spürte. Er fror, heimtückische schwarze Kälte kroch in seinen ganzen Körper, Erschöpfung und Blutverlust zehrten an seinen Kräften. Die Hände auf die Oberschenkel gestützt, versuchte er, sich aufrecht zu halten, und saugte tief Luft ein, damit sich die Nebelschwaden in seinem Kopf verzogen und sein Verstand wieder klarer wurde.
Ich muss hier weg, zurück ins Lager. Er hatte kein Erste-Hilfe-Päckchen dabei, und bald würde es dunkel sein. Wenn sein Blutgeruch in der Luft lag, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Chuckies aufkreuzten. Ich ziehe möglichst viel von meinen Sachen aus und schlüpfe in die von Chucky. Auf dem weißen Overall ist ihr Blut, dann wittern
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