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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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festhalten, doch sie war einen Tick zu langsam. Der Ordner stürzte ab, sein Inhalt verteilte sich in fliegenden Blättern auf dem Boden.
    «Anna? Anna, ich kann dich nicht hören.» Das schnurlose Telefon ans Ohr gedrückt, lief Jon in den Flur hinaus.
    Clemmie begann die Blätter einzusammeln und lauschte dabei angespannt, was Jon draußen sagte. Die zusammengehefteten Seiten eines frühen Entwurfs, doppelzeilig geschrieben, mit zahlreichen Durchstreichungen und ungeduldig auf das Papier geworfenen Einfügungen fielen ihr in die Hand.
Kapitel fünf
stand oben auf der ersten Seite,
Die Sensationsscheidung
.
    «Ich hör dich schon wieder nicht mehr, verdammt noch mal.» Jon drückte ‹Gespräch beenden› und begann eine Nummer zu tippen «Anna?»
    Den Aufzeichnungen angehängt waren weitere graue Fotokopien, diesmal mit Bildern aus Zeitungen und Zeitschriften, die die
jeunesse dorée
einer früheren Epoche zeigten, Frauen in pelzverbrämten Mänteln und Männer mit Zylinder. Die schlechten Fotokopien hinterließen graue Spuren auf Clemmies Fingern, als sie sie in den Ordner sortierte. Sie warf nur einen halben Blick darauf, da sie ganz auf Jon konzentriert war, der im Flur hin und her rannte und in das unzuverlässige Telefon brüllte. Sein müdes Gesicht war ein Spiegel widerstreitender Gefühle von Ungeduld, Zorn, Angst, Verzweiflung.
    Ihre Hand zitterte, und ein Blatt rutschte zwischen ihren Fingern hindurch auf den Boden.
    Tatler
lautete die verschnörkelte, von einem Art-déco-Muster umrahmte Aufschrift auf dem Kopf der Seite. Darunter war ein Bild von Grannys Cousine Bea in einem eleganten Reisekostüm mit Pelz am Hals. Sie schien auf einem Schiff zu stehen, die Arme voller Blumen, in Begleitung eines Mannes, der große Ähnlichkeit mit dem jugendlichen Grandpa Frederick auf den alten Fotos in Granny Addies Wohnung hatte.
    Lady Beatrice Desborough und Sir Frederick Desborough
hieß es in der kurzen Bildunterschrift.
    «Clemmie?
»
    Sie blickte auf. Jon stand an der Tür. Er hielt das Telefon in beiden Händen, so krampfhaft, dass die Knöchel weiß hervortraten. Er sah niedergeschlagen aus.
    Clemmie ließ das Blatt Papier fallen und stützte sich beim Aufstehen auf die Armlehne des Sofas.
    «Das war Tante Anna?» Ihre Stimme klang ihr fremd.
    Jon nickte. Er kam nicht zu ihr. Er stand nur da, mit dem Telefon in beiden Händen.
    «Es tut mir leid», sagte er heiser. «Clemmie … Sie ist tot.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Teil zwei
Kenia

Kapitel  16
Kenia, 1926
    W ollen wir fahren?» Addie trat einen Schritt von Frederick zurück, während sie ihre Verwirrung hinter einer Fassade freundlichen Geplauders zu verbergen suchte. «Ich bin so gespannt auf die Farm. Und natürlich auf die Kinder.»
    Sie wusste selbst nicht, wie sie es fertigbrachte, so gelassen zu tun. In ihren Ohren war ein Pfeifen wie das langgezogene Signal eines Zugs, eine schrille Warnung, die Tausende von Meilen zu spät kam.
    Sie empfand es als eine Ungerechtigkeit des Schicksals, dass Frederick sich kaum verändert hatte. Sein Gesicht war zwar eine Schattierung dunkler, und er trug Khaki statt Tweed, aber das Wesentliche, dieser funkenhafte Zauber seiner Persönlichkeit, der sie damals in dem Ballsaal in Kent in seinen Bann geschlagen hatte, hielt sie noch genauso gefesselt. Sie hatte sich vorgemacht, sie sei nur wegen der damaligen Umstände von ihm angezogen gewesen. Sie hatte sich im Lauf der Jahre eine kleine saubere Geschichte zurechtgelegt. Sie war jung und naiv gewesen und frisch aus der Provinz. Sie hatte in ihm den kultivierten Mann von Welt gesehen. Er war der erste Mann überhaupt gewesen, der ein persönliches Interesse an ihr zeigte, das unabhängig von ihrer Verbindung zu Bea war. Zumindest hatte er ihr das sehr geschickt vorgegaukelt.
    Doch hier in der erbarmungslosen Sonne Afrikas lösten sich Addies vernünftige Erklärungen in Dunst auf. Es war absurd. Sie müsste doch jetzt gegen ihn gefeit sein, jetzt, wo sie wusste, was er wirklich war: ein berechnender Opportunist. Und der Ehemann ihrer Cousine.
    Mit einem längst nassen Taschentuch wischte sich Addie den Schweiß aus den Augen und legte die Hand auf den Türgriff des schwarzen Ford. Was für eine schreckliche, schreckliche Idee war das gewesen. Sie hätte bei David zu Hause in England bleiben sollen, statt einer merkwürdigen Vorstellung von Ausgleich und Rechtfertigung nachzujagen. «Ist das der Wagen?»
    «Das? O nein, Schatz, nein. Das ist der Leutewagen von der

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