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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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betrachtete und versuchte, die Geschehnisse, die sich Jahrzehnte vor ihrer Geburt in Kenia zugetragen hatten, mit den Menschen in Verbindung zu bringen, die ihr so nahegestanden hatten, die darauf geachtet hatten, dass ihr beim Haarewaschen kein Shampoo in ihre Augen gelangte, die ihr bei ihren Hausaufgaben geholfen hatten.
    Insgesamt waren es zehn Ausschnitte, die parallel zum erfolglosen Fortgang der polizeilichen Ermittlungen immer kleiner wurden.
    ‹Unfalltod›, lautete der endgültige Spruch.
    «Sie haben es nie aufgeklärt, nicht?», fragte sie mitten in seinen Monolog hinein.
    Tony sah sie fragend an. «Den Mord am Earl of Erroll?»
    «Nein, diese Sache hier.» Clemmie tippte auf die Ausschnitte. «Den Mordfall Desborough.»
    «Ich glaube nicht», antwortete Tony leicht verwirrt. Dann lächelte er. «Sie hätten diesen belgischen Meisterdetektiv dransetzen sollen.»
    «Oder Miss Marple», sagte Clemmie zerstreut. «Was glauben Sie, wer es getan hat? Ich meine, hier, in diesem Fall.»
    «Na ja …» Tony bemühte sich, das Spiel mitzuspielen. «Am ehesten wäre meine Großmutter in Frage gekommen, aber sie war zu der Zeit zu Hause in England. Und sie hätte wahrscheinlich zu Gift gegriffen. So etwas Blutrünstiges wie wilde Tiere wäre ihr sicher nicht eingefallen.»
    Clemmie zwang sich zu einem schwachen Lächeln, denn das schien ja wohl erwartet zu werden. «Und von den Leuten am Ort?»
    Tony legte den Kopf schräg, und schon fiel ihm die jungenhafte Tolle wieder in die Stirn. «Ich tippe auf den Ehemann. Die sind beinahe so schlimm wie Butler, wenn es um Mord geht.»
    Der Ehemann. Clemmie erinnerte sich an Grandpa Frederick, wie er in seinem alten Filzhut und dem Tweedjackett auf seinen albernen Spazierstock gestützt im Central Park vor einem Felsbrocken gestanden und ihr Eis gehalten hatte, während sie oben herumgeklettert war.
    «Ja, man sagt ja, dass der Ehepartner immer der erste Verdächtige ist, nicht?», fragte sie fast verzweifelt.
    «Es hört sich an, als hätte er ein Motiv gehabt», meinte Tony. «Die vielen anderen Männer …»
    Unmöglich, Grandpa Frederick des Mordes zu verdächtigen. Andererseits, was wusste sie eigentlich über ihn? Was wusste sie überhaupt? Sie hatten sie alle miteinander jahrelang belogen. Clemmie schluckte krampfhaft.
    «Ich würde eher auf den Franzosen tippen», sagte sie, um einen leichten Ton bemüht. «Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?»
    Tony zog die Brauen zusammen. «Ich glaube, er ist nach Frankreich zurückgekehrt und hat die Frau geheiratet, die seine Eltern ihm ausgesucht hatten. Ich habe ein bisschen herumgestochert, aus reiner Neugier», gestand er. «Da hatte ich wenigstens etwas zu tun, während der Installateur unten die verstopften Toiletten in Ordnung brachte.»
    «Und was ist mit diesem Vaughn? Der könnte es doch auch gewesen sein.»
    «Er ist nicht lange danach mit dem Flugzeug abgestürzt.» Tony starrte nachdenklich in sein Glas. «Sie haben alle kein glückliches Ende genommen.»
    Clemmie sah Granny Addie und Grandpa Frederick vor sich, wie sie vor dem alten Schwarzweißfernseher saßen und über Politik diskutierten. Sie erinnerte sich, wie Granny Addie immer Grandpa Frederick die besten Fleischstücke auf den Teller gelegt und wie Grandpa Frederick ihr stets die Tür gehalten hatte. Sie waren für Clemmie immer der Inbegriff des idealen Paars gewesen. Sie hatten so glücklich gewirkt.
    Sie blickte zu ihren Händen hinunter, schmucklos bis auf ihre Uhr, und merkte plötzlich, dass sie von dem Gin Tonic mehr als beschwipst war. Dass sie seit gestern Mittag nichts gegessen hatte, konnte etwas damit zu tun haben. Sie hatte keinen Hunger gehabt.
    «Für einige von ihnen hat sich vielleicht doch noch alles zum Guten gewendet.» Sie sah Tony an. «Meine Mutter war eine ihrer kleinen Töchter.»
    Tony machte ein Gesicht, als würde er gar nichts mehr begreifen. «Aber sagten Sie nicht, sie wäre so etwas wie eine Großtante von Ihnen?»
    «Das ist eine lange Geschichte. Nein, sie war meine Großmutter. Die Frau, die ermordet wurde.» Eigenartig, es auszusprechen, gewissermaßen ihr Recht auf sie geltend zu machen. Clemmie hätte gedacht, es würde bei ihr so etwas wie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstehen lassen. Doch sie fühlte sich nur leer.
    «Oh», sagte Tony, und der Martini schwappte über den Rand seines Glases. Er starrte sie an, und sie fragte sich, was er sah. Die Frau auf dem Gemälde? Oder eine Amerikanerin, die gerade

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