Ashford Park
mit dem Marquis von Rivesdale aus gewesen war. Wahrscheinlich würde ihn auf der Stelle der Schlag treffen. Aber ein echter Knaller wäre es, wenn sie in die Fußstapfen ihrer Großmutter träte und einen Marquis von Rivesdale heiraten würde. Das wäre eine schallende Ohrfeige für Paul, und für sie würde sich alles in Wohlgefallen auflösen. Niemand würde fragen, warum sie bei CPM aufgehört hatte, denn wem würde so etwas einfallen, wenn ein gutaussehender Brite im Spiel war? Sie würden in den Londoner Smog davonreiten und bis an ihr seliges Ende glücklich und zufrieden miteinander leben.
Hoppla! Was zum Teufel spann sie sich denn da zusammen? Rachephantasien, sagte sie sich ironisch und trank noch einen Schluck von ihrem Wasser.
«Aber wie viele von denen», sagte Tony, «würden aussehen, als wären sie einem wunderbaren Bild entstiegen? Ich hatte immer ein heftiges Faible für sie», fügte er hinzu. «Für die Dame auf dem Gemälde.»
Er lächelte, aber in Clemmies Phantasie bekam das Lächeln etwas Unheimliches. Das Ganze hatte etwas von einem Schauerroman: der Mann, der dem Bild einer geheimnisvollen Frau verfallen ist.
«Sie ist doch nichts weiter als Leinwand und Farbe», erwiderte sie. «Ein Bild an der Wand.»
«Sie war einmal eine Frau aus Fleisch und Blut», entgegnete Tony. «Und eine große Herzensbrecherin.»
Zweifellos. Clemmie dachte an ihre Mutter und Tante Anna. An Granny Addie. Wer immer diese Bea gewesen war, sie hatte ihnen allen das Herz gebrochen.
«So groß ist die Ähnlichkeit gar nicht», sagte Clemmie ärgerlich.
«Das ist wahr», bestätigte Tony und besänftigte sie damit ein wenig. «Sie haben etwas ganz Eigenes», fuhr er fort. «Etwas …»
«Amerikanisches?», meinte Clemmie.
Er lachte, und sie merkte, wie sie wieder lockerer wurde. «Ja, das ist es wahrscheinlich. Ihr Gesicht ist ganz ähnlich geschnitten, und trotzdem –» Er musterte sie, nicht ungezogen, sondern mit beinahe kindlichem Interesse. «Irgendwie sehen Sie ganz anders aus.»
Er beugte sich zu der Aktentasche hinunter, die an seinem Stuhl lehnte, und entnahm ihr ein dünnes Bündel vergilbter Zeitungsausschnitte. «Das sind die Papiere, die ich Ihnen zeigen wollte. Sie betreffen unsere Freundin. Sie waren hinten in eine Schublade gerutscht. Erst dachte ich, es wäre Auslegepapier, aber dann habe ich sie mir genauer angesehen. Ich dachte, sie würden Sie vielleicht interessieren.»
Er reichte ihr die Ausschnitte über den Tisch. Clemmie stockte einen Moment der Atem. Sie beugte sich vor und breitete die Papiere, die unter ihren Händen brüchig knisterten, auf dem Tisch aus.
Mord an Marquise!,
hieß es in einer Schlagzeile.
Angehörige des Hochadels verschwunden,
in einer anderen zurückhaltender.
«O Gott», sagte Clemmie. Bea blickte ihr von einem vergilbten Zeitungsblatt entgegen. In einer üppigen Fuchsstola, die ihr bis zum Kinn reichte, lachte sie in die Kamera. Eilig sah Clemmie die Ausschnitte durch, auf der Suche nach relevanten Details. Den Mann, der ihr gegenübersaß, hatte sie vergessen, das Gerede an den Nachbartischen hörte sie nicht.
Kein Wunder, dass Granny Addie all die Jahre geschwiegen hatte. Da ging es um mehr als Ehebruch.
Lady Beatrice Desborough war 1927 , während ihrer Teilnahme an einer Safari in Kenia, verschwunden. Man hielt sie für tot. Ihr Ehemann stand unter Verdacht … unter Verdacht … Nein. Clemmie glaubte es nicht, wollte es nicht glauben.
Nicht Grandpa Frederick. Das war Grandpas Gesicht auf dem körnigen Foto, und da war noch ein Bild, eine Kopie der Aufnahme von Bea und Grandpa Frederick auf einem Schiff.
Ein verschmähter Ehemann
lautete die Unterschrift.
Sehr, sehr klein gedruckt wurde erwähnt, dass die Schwester der Toten bei der Familie geblieben sei und sich um die Kinder kümmere. Weder Grannys Beziehung zu Bea noch ihr Name waren richtig wiedergegeben. Statt Adeline stand dort Adele. Miss Adele Gillcot.
«Ist Ihnen nicht gut?», fragte Tony. «Sie sehen so blass aus.»
«Wo ist der Drink?» Clemmie riss der Bedienung beinahe das Glas vom Tablett und trank gierig einen stärkenden Schluck. «Nein, es ist nur … auf so etwas war ich nicht gefasst.»
«Es ist nicht der einzige berühmte Mord in Kenia», sagte Tony. «Auch die Ermordung des Earl of Erroll machte damals Schlagzeilen.»
Er begann, die Umstände dieses Falls zu schildern und von dem Buch zu erzählen, das darüber berichtete, während Clemmie die Zeitungsausschnitte
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