Ashford Park
dabei war, sich an einem einzigen Gin Tonic zu betrinken? «Nun, dann stehen wir einander näher als gedacht. Ihre Großmutter hätte meine Großmutter sein können.»
Wenn sie nicht in Kenia gestorben wäre. Doch sie war in Kenia gestorben, und Addie war nach New York gezogen, und irgendwie hatte sich alles gewendet. Zum Besseren, hatte Clemmies Mutter behauptet. Zum Schlechteren, sagte Tante Anna. Clemmie wusste nicht, wem oder was sie glauben sollte.
Mord
schrien die Schlagzeilen auf den Zeitungsartikeln.
«Auf die Großmütter», sagte Clemmie und stieß mit Tony an. «Wer immer sie auch sein mögen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich hätte nichts gegen eine zweite Runde.»
Brav hob Tony die Hand und winkte der Bedienung.
Kenia, 1927
A ddie erwachte in den frühen Morgenstunden.
Die verhedderte Bettdecke klebte schweißfeucht an ihrem Körper. In der Dunkelheit rieb sie sich die Augen, um die letzten Spuren des Traums zu vertreiben. Sie war mit Bea zusammen gewesen. Sie waren in Nairobi, doch dieses Nairobi hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Nairobi, das Addie kannte. Es war eher eine Art orientalischer Basar, wie aus einem Roman, mit prächtigen Zelten und Seidenballen und Lampen, die an Ketten von der Decke herabhingen. Leute zupften an ihren Kleidern und schrien: «Komm kaufen, komm kaufen.»
Sie drehte sich nach Bea um, doch Bea war verschwunden, in den Basar hineingeschlüpft. Addie wollte ihr nachlaufen und kam nicht vom Fleck, weil überall Hände an ihr zerrten, an ihrem Rock, ihren Ärmeln, ihrem Gürtel, und sie zurückhielten. «Komm kaufen, komm kaufen.» Weiter vorn konnte sie flüchtig Beas Rock erkennen, der um eine Ecke verschwand. Und sie hörte Beas Lachen, hell wie Silber.
Addie riss sich los und drängte sich verzweifelt zwischen den Menschen hindurch, Beas Lachen immer nur ein paar Schritte entfernt, immer nur ein paar Schritte entfernt …
In der mitternächtlichen Kälte zitternd setzte Addie sich auf. Sinnlos, jetzt weiterschlafen zu wollen, sie wusste es aus Erfahrung. Es war unfassbar, dass draußen das Leben einfach weiterging, die Grillen zirpten, eine Eule schrie, irgendein Tier brüllte. Draußen auf den Feldern wuchsen die Kaffeesträucher weiter, und in den Hütten weinten Babys, und Männer schnarchten. Aber Bea war tot und würde nie wieder aufwachen.
Addie zog ihren Morgenmantel um sich. Es war eine kalte Nacht, so bitterkalt. Es war ihr früher nie aufgefallen, wahrscheinlich weil es früher keinen Anlass gegeben hatte, in der Nacht umherzuwandern und den einsamen Rufen der Nachtschwalben und dem hohen Schrei irgendeines kleinen Tiers in höchster Not zu lauschen.
Sie war nicht die Einzige, die auf war. Im Esszimmer brannte Licht. Während Addie auf bloßen Füßen zur Tür ging, zog sie den Bindegürtel des Morgenmantels noch einmal fester über dem seidenen Pyjama zusammen, den Bea ihr geschenkt hatte. Er war nach Beas eigenem Entwurf angefertigt.
Im Esszimmer saß Frederick allein an dem langen Tisch, vor sich ein Kristallglas und in bequemer Reichweite eine Karaffe. Der Generator schaltete sich stets um Mitternacht aus, dann gab es kein elektrisches Licht mehr. Frederick hatte die Kerzen in dem schweren silbernen Leuchter angezündet, der in der Mitte des Tisches stand. Die Kerzen warfen ihr zuckendes Licht auf sein Gesicht, vertrieben an manchen Stellen die Schatten und riefen an anderen neue hervor.
Er griff nach der Karaffe und zog den Stöpsel heraus.
«Du solltest zu Bett gehen», sagte Addie leise.
Der Stopfen schlug klirrend an den Hals der Karaffe. «Mein Gott, du hast mich halb zu Tode erschreckt.»
Die Karaffe war fast voll gewesen, als Addie zu Bett gegangen war. Jetzt war sie kaum noch zur Hälfte gefüllt. «Du hast für heute Abend genug getrunken.»
«Genug? Der ganze Whisky der Welt wäre nicht genug.» Addie sah von der Tür aus zu, wie er sich einschenkte. «Der ganze Whisky der Welt könnte mich nicht reinwaschen.»
Er redete Unsinn. «Du brauchst Ruhe. Schon der Mädchen wegen.»
«Die Mädchen.» Frederick drehte das Glas in der Hand und starrte in die funkelnde goldene Flüssigkeit. «Sie werden sie mir wegnehmen, Addie.»
Addie trat ins Licht. «Was in aller Welt redest du da?»
Frederick hob den Kopf. «Sie sind überzeugt, dass ich es getan habe. Ich meine, dieser Kriminalbeamte. Er wird mir den Mord an Bea anhängen.» Er zwinkerte ein paarmal mit den Augen, als könnte er nicht richtig sehen. Sie hatte ihn seit
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