Ashford Park
noch relativ früh, noch nicht ganz acht Uhr. Sie konnte sich noch ein wenig Zeit lassen, bevor sie nach Hause fuhr, um zu packen.
Es tat gut, einfach nur zu sitzen.
Die Jalousien waren noch nicht heruntergelassen, und sie konnte die Lichter des Gebäudes gegenüber sehen. Hinter den Fenstern spielten sich kleine häusliche Szenen ab von Menschen, die eben nach Hause kamen, von Familien, die sich zum Abendessen setzten. Clemmie schlug die Arme um sich und legte den Kopf an die Stuhllehne. Es machte sie seltsam melancholisch, wie sie hier in das Leben anderer blickte, von draußen zuschaute. Es ließ sie Dan vermissen.
Nein, vielleicht nicht Dan selbst. Es überraschte sie, dass er kaum eine Lücke in ihrem Leben hinterlassen hatte, dass sie kaum je an ihn dachte. Doch sie hatte Sehnsucht nach dem, was er verkörpert hatte.
War es so falsch, sich nach jemandem zu sehnen? Nach einem Menschen, den sie anrufen konnte, wenn sie im Büro festsaß, mit dem sie an kalten Abenden kuscheln konnte, der sie daran erinnern würde, dass es außerhalb des Büros auch noch ein Leben gab? Eine kurze Zeit hatte sie geglaubt, das bei Dan gefunden zu haben, auch wenn Dan selbst, na ja, eben Dan war. Er hatte so sicher geschienen, sicher genug für sie beide. Allein jemanden an ihrer Seite zu haben, auch wenn sie ihre Zweifel hatte, dass es der richtige Jemand war, führte dazu, dass sie sich vollständiger und in ihrer Haut wohler fühlte.
Er tauchte auf, als sie gerade anfing, ein wenig in Panik zu geraten, als sie plötzlich merkte, dass ihre Freundinnen um sie herum heirateten und Kinder bekamen, während sie selbst mit ihrem Schreibtisch verheiratet war und kein Mann in Sicht.
Während des Studiums hatte sie mehrere Beziehungen gehabt, aber keine hatte gehalten. Damals beunruhigte sie das nicht. Sie hatte ja noch so viel Zeit. Ihre Mutter hatte ihr eingebläut, wie wichtig es war, selbstbestimmt zu sein und auf eigenen Füßen zu stehen. Ehen ergaben sich gewissermaßen von selbst, an einer beruflichen Karriere musste man arbeiten.
Aber für sie hatte sich nichts ergeben. Im zweiten Jahr in der Kanzlei war sie kurz mit einem Kollegen zusammen gewesen, dann war nichts mehr passiert. Lange, lange Zeit gar nichts. Hin und wieder hatten Freunde oder Kollegen versucht, sie zu verkuppeln, manchmal war es fürchterlich gewesen, manchmal ganz nett, aber der eine vom Donner begeleitete Blitz
war ausgeblieben. Sie war auf Cocktailpartys gegangen, wenn ihre Termine es erlaubten, und war bei Essenseinladungen recht plump neben den einzigen alleinstehenden Mann gesetzt worden, aber am Ende des Tages war sie immer allein nach Hause gegangen.
Und dann war Dan erschienen.
Dan war ein von der Kanzlei bestellter Gutachter in einem Schutzrechtsprozess gewesen. Clemmie war in ihrem fünften Jahr, und ihr war deshalb die Bearbeitung des Falls übertragen worden, ohne dass sie von Intellectual Property viel Ahnung hatte, wie sie lachend eingestand. Daraufhin hatte er sie zu einem Kaffee eingeladen, und Clemmie hatte zugesagt, mehr des Koffeins als der Gesellschaft wegen. Ihr war nicht klar, dass er wirklich nur ‹Kaffee› meinte, als er ‹Kaffee› sagte.
Sie waren in das Starbuck’s nebenan gegangen Und er hatte ihr praktisch sein ganzes Leben erzählt. Seine Promotion an der Yale University über Informatik und seine vor kurzem gegründete Firma, die, hm, irgendwas, machte. Clemmie, die das alles bereits aus seinem Lebenslauf kannte, fragte sich, warum er ihr das erzählte, bis er schließlich zögernd fragte, was sie vom Abendessen halte.
Ich esse meins meistens aus einem Plastikbehälter, den ich mir in die Kanzlei liefern lasse
, sagte sie.
Haben Sie Lust, mal richtig über die Stränge zu schlagen und mit mir zu essen?
, fragte er.
Er führte ein ganz anderes Leben als sie. Als technischer Leiter eines Internet-Start-ups konnte er es sich leisten, einen halben Tag blauzumachen, um Football zu spielen, und dann achtundvierzig Stunden durchzuarbeiten, nicht weil er musste, sondern weil er wollte. Er holte sie an den Wochenenden vom Schreibtisch und nahm sie mit zu Vergnügungen, von denen sie nicht einmal wusste, dass es sie in Manhattan gab: zur Apfelernte, auf Renaissancemärkte, zu schottischen Highland Games. Seine Freunde veranstalteten
Lord of the Rings
-Partys und brauten ihr eigenes Bier.
Amüsiert hatte Clemmie sich mitziehen lassen, überzeugt, dass die Sache schnell wieder im Sand verlaufen würde. Aber aus einem Monat
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