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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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Empore herauf und bemerkte, wie Tante Vera unter den Schichten von Diamanten und Spitzen zusammenzuckte.
    Als Punkt acht Tante Vera Badger zunickte, schloss er die große Eingangstür. Das war das Signal für die Musiker, eine nicht ganz gelungene Fanfare anzustimmen, worauf sich unter den Gästen erwartungsvolles Schweigen breitmachte. Addie hatte ihnen etwas voraus: Sie hatte die ganze Inszenierung schon bei der Probe gesehen. Sie wusste, was als Nächstes kommen würde.
    Glaubte sie jedenfalls.
    Ein Diener mit Kristallgläsern auf einem silbernen Tablett trat zu Onkel Charles. Unten in der Halle gingen Diener in dem gleichen Aufzug mit den gleichen Tabletts herum und versorgten die Gäste mit Champagner für den Moment, wenn Dodo, die zu unerwarteter Schönheit gestriegelte, sonst so langweilige Dodo, die nichts als Pferde kannte, offiziell in die große Welt eingeführt wurde.
    Onkel Charles hob sein Glas, und es wurde still im Raum. Auf der Bühne der Öffentlichkeit überzeugte Onkel Charles, der sich im Privatleben so häufig nach Tante Vera richtete, durch beeindruckende Präsenz. Tante Vera wirkte neben ihm klein und nervös.
    «Ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie heute zu uns gekommen sind», sagte er, und es war, als spräche er jeden Einzelnen im Raum direkt an.
    Neben Addie zog Bea die Maus aus ihrer Tasche. Sie hatte wieder diesen mutwilligen Ausdruck im Gesicht, der nichts Gutes verhieß.
    Addie warf ihr einen warnenden Blick zu. «Mach das bloß nicht», flüsterte sie.
    Bea spielte das Unschuldslamm. «Was denn? Binkers will doch nur ein bisschen besser sehen, stimmt’s, Binks?»
    «… unsere Gläser zum Toast …», sagte Onkel Charles.
    «Oh, Mist, sie hat mich vollgemacht.» Bea schüttelte ihre Hand, und Binky flog auf und davon.
    «… auf unsere Tochter …»
    «Bea, nein!» Binky landete auf dem Boden und flitzte los. «Binky!»
    «… Diana …»
    «Binky», zischte Addie, aber es war schon zu spät. Binky hielt direkt auf die Treppe zu. «Binky, nein.»
    Es war nicht genau zu sagen, wer sie zuerst bemerkte. Als Onkel Charles seine Gäste aufforderte, ihre Gläser zu erheben, war der erste spitze Schrei zu hören. Gleich darauf erscholl ein zweiter. Champagnergläser gingen klirrend auf dem Boden in Scherben, Frauen rannten nach Stühlen, nach jeder Erhebung, die sie finden konnten. Auf einen Wink von Tante Vera stimmten die Musiker ausgerechnet ‹Rule, Britannia› an, doch ihr unkonzentriertes Gefidel konnte die Katastrophe nicht vertuschen, sondern trug nur zur allgemeinen Kakophonie bei.
    Sie mussten Binky einfangen. Addie schaute gar nicht, ob Bea ihr folgte. Sie machte sich sofort auf die Jagd nach der Maus, fegte zwischen aufgeschreckten Gästen hindurch, während sie versuchte, sie mit Hilfe der Schreie und des Scherbenklirrens zu orten.
    «Binky», rief sie, immer wieder ein «Entschuldigen Sie» oder «Pardon» einstreuend.
    Vielleicht war es dumm, wahrscheinlich sogar; aber Binky war ihre Maus, und sie konnte nicht zulassen, dass sie totgetrampelt wurde.
    «Ich nehme an, Sie suchen das hier?»
    Sie hielt abrupt an und blickte auf die Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Ein Stück schwarzer Ärmel, weiße Manschette mit einem Karneolknopf. An einem Finger ein Siegelring, ein schweres Ding aus sehr gelbem Gold, daneben ein zitterndes rosa Näschen.
    Addie hob den Kopf und blickte in ein Männergesicht mit amüsiert lächelnden Lippen unter einem schmalen Bärtchen. Die Farbe seiner Augen war eine Mischung aus Grün und Braun, wie Moos und Torf. Offenen Mundes starrte sie ihn an.
    «Ihr Eigentum, nehme ich an?», fragte er und hielt ihr Binky hin.

Kapitel  6
New York, 1999
    E s war also Liebe auf die erste Maus?», fragte Clemmie.
    Granny Addie antwortete nicht. Sie war in den plötzlichen leichten Schlaf alter Menschen gefallen. Ihre Augenlider schimmerten bläulich, ihr Mund stand ein wenig offen.
    Vorsichtig, um nicht ans Bett zu stoßen, beugte sich Clemmie über sie und vergewisserte sich, dass sie regelmäßig atmete und eine gesunde Farbe hatte. Mutter hatte gesagt, dass es in letzter Zeit immer häufiger vorkam, dass Granny Addie mitten im Satz einnickte und dann ebenso unversehens wieder erwachte, um fortzufahren, wo sie stehengeblieben war. Oder dass sie über etwas ganz anderes zu sprechen begann, als führte sie ein Gespräch weiter, das im Traum begonnen hatte.
    Clemmie setzte sich wieder in den Rollstuhl. Obwohl es schon seit Stunden dunkel war, war es

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