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Ashford Park

Ashford Park

Titel: Ashford Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Willig
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paar Minuten unterhalten. Und es kam ihr vor, als kennte sie ihn seit Jahren. Die Widersprüche verwirrten sie. Dafür würde Tante Vera sich umso klarer ausdrücken, wenn sie ihr gleich gegenübertrat.
    «Danke, Ivy. Ich komme sofort.» Sie wandte sich Mr. Desborough zu und verzog übertrieben gequält das Gesicht. «Jetzt geht’s mir an den Kragen.»
    «Nur Mut, Maus», sagte er. «Und denk daran …»
    «Ich weiß», sagte Addie. «Keine Seeungeheuer.»
    Über die eigene Schlagfertigkeit erstaunt, nickte sie und rannte Ivy durch die Hecke hinterher, um die Strafe in Empfang zu nehmen. Im Moment wäre ihr dieser Morgen jede Strafe wert gewesen. Er hatte sie Maus genannt. Aber eigentlich war das süß, beinahe wie ein Kosename. Sie wusste, dass Tante Vera ihr kein Debüt ausrichten würde wie Bea, schon gar nicht nach der Geschichte mit Binky, aber vielleicht, vielleicht …
    Sie konnte die Szene vor sich sehen: Sie erwachsen und elegant, in einem schimmernden weißen Abendkleid, und Mr. Desborough, der das Champagnerglas in der Hand vergaß, während er zu ihr trat und mit einem schalkhaften Blitzen in den grünen Augen sagte: «Ist es möglich? Maus, du bist ja erwachsen geworden.»
    Und dann würde er sie mit sich fort nehmen, weit, weit weg von Tante Vera und Ashford und Onkel Charles’ Arbeitszimmer.
    Die Tür zum Arbeitszimmer brachte die Ernüchterung. Sie war keine Debütantin mehr. Sie war ein schmuddeliges kleines Schulmädchen in einer abgetragenen Hemdbluse und einem Rock mit einem Schlammfleck drauf. Addie holte tief Atem und klopfte. Dienstboten gingen direkt hinein, wohingegen arme Cousinen lernten zu klopfen.
    «Was ist?» Es war nicht Tante Vera, sondern Onkel Charles, ungewohnt scharf und ärgerlich.
    Noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Onkel Charles beteiligte sich selten an Strafaktionen. Wenn, dann richtig. Jetzt musste sie sich also wirklich auf etwas gefasst machen. Sie dachte flüchtig an Perseus. Sagenhafte Seeungeheuer waren das eine, Onkel und Tanten des wirklichen Lebens etwas ganz anders.
    Addie riskierte einen Blick durch den Türspalt, ehe sie widerstrebend ins Zimmer trat. Onkel Charles saß am Schreibtisch. Tante Vera stand mit starrer Miene hinter ihm.
    Addie nahm all ihren Mut zusammen. «Ivy hat mir gesagt, dass ihr mich sprechen wolltet, wegen der Maus.»
    «Das war vor einer Stunde», sagte Tante Vera und brach ab. Sie schien außer sich zu sein.
    «Wegen einer Maus», sagte Onkel Charles. Vor ihm lag ein Telegramm mit verwischter schwarzer Schrift, als ob es zu schnell von der Druckerpresse gerissen worden wäre. Er starrte sie an, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie gar nicht sah. «Passt gut. Eine kleine Maus, die alles ins Chaos stürzt.»
    ‹Alles› war ein bisschen übertrieben, fand Addie, aber sie hatte vor langer Zeit schon gelernt, dass es besser war, sich nicht zu verteidigen. Das machte es im Allgemeinen nur schlimmer.
    «So schlimm ist es nun auch wieder nicht», sagte Tante Vera zu Addies Überraschung. Nie hätte sie gedacht, dass ausgerechnet Tante Vera sie einmal in Schutz nehmen würde. Sie hatte sich auf Onkel Charles’ Nachsichtigkeit verlassen. Er dachte wenigstens ab und zu daran, dass sie die Tochter seines Bruders war. Tante Vera sah Addie nur an und sagte gereizt: «Was tust du noch hier?»
    Addie verstand gar nichts mehr. Sie schluckte. «Wegen der Maus?»
    «Die Maus interessiert keinen Menschen, du dumme Gans.» Ihrer Tante schnappte die Stimme über. «Mach, dass du nach oben kommst.»
    Addie ging, aber bevor sie nach oben lief, schaute sie in der Küche vorbei. Die Köchin erklärte ihr alles. Sie hatte dem Postboten eine Tasse Tee gebracht und von ihm erfahren, was passiert war: Deutschland hatte Frankreich den Krieg erklärt.
    Einen Tag darauf war England im Krieg.

Kapitel  7
New York, 1999
    C lemmie war plötzlich todmüde, als sie ihre Wohnung aufsperrte.
    Sie warf ihren Mantel auf einen Stuhl und die Post auf das Bücherregal, das den Flurtisch ersetzte. Sie brauchte die Briefe nicht zu öffnen, um zu wissen, was sie enthielten. Kreditkartenangebot, Kreditkartenangebot, Rechnung, Rechnung, Rechnung.
    Ihre Wohnung lief unter der euphemistischen Bezeichnung Eineinhalb-Zimmer-Apartment. In Wirklichkeit hatte sie nur ein Zimmer und eine Erkernische ohne Tür, nicht einmal so groß wie eine Kammer und bestimmt nicht halb so groß wie ein normales Zimmer. Die Leute, die vor ihr hier gewohnt hatten, hatten am Durchgang einen

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