Ashton, der Heißbluetige
Wesen gefesselt, die sie entdeckt hatte: seine glatte Zunge und der wachsame Ausdruck in seinen Augen, die abgetragenen Kleider und sein vornehmes Auftreten, die eleganten Hände mit den Schwielen und die Narben an den Handgelenken. Welche Frau wäre nicht fasziniert? Das hieß nicht, dass sie deswegen eine weniger treue, aufmerksame Ehefrau abgeben würde. Wenn die Zeit gekommen war.
So wie Phillip ein guter Ehemann sein würde. Wenn die Zeit gekommen war.
Sie wusste um Phillips gelegentliche Verabredungen mit Frauen aus dem Dorf. Wenn er sie nicht eingestellt hatte, wäre das keine große Überraschung für Rhiannon. Phillip war unglaublich gut aussehend, freundlich und großzügig und . . .
„Rhiannon! Ach, da bist du ja. Gut.“ Edith Fraiser kam geschäftig um die Hausecke, und die Bänder ihrer Haube flatterten lustig im Wind. Sie blieb stehen und blickte sich um.
„Er ist nicht hier“, sagte Rhiannon.
„Gut“, erwiderte Edith und nickte. Dann musterte sie die Ziehtochter plötzlich misstrauisch: „Wer ist nicht hier?“
Rhiannon klimperte gespielt unschuldig mit den Wimpern. „Wer glaubt Ihr denn, ist nicht hier?“
„Phillip Watt selbstverständlich“, erklärte Edith entrüstet. „Wen dachtest du denn, meine ich?“
„Phillip natürlich“, versetzte Rhiannon und zerstörte dann die Wirkung ihrer tugendhaften Antwort, indem sie über Ediths zweifelnde Miene zu lachen begann. „Liebe, liebe Mrs. Fraiser, Ihr macht Euch grundlos viel zu viele Sorgen - worum auch immer. “
„Du kennst mich zu gut, Rhiannon Russell“, erklärte Edith, breitete ihre Röcke aus und ließ sich wie eine Henne zum Brüten neben ihr nieder. Sie blickte die zufrieden schnarchende Stella an. „Du verziehst den Hund nach Strich und Faden. Das ist nicht richtig. Stella ist ein Tier, kein Kind. “ Ein listiges Lächeln trat an die Stelle ihrer mürrischen Miene. „Schon bald hast du deine eigenen Kinder, und dein Hund wird zurück in den Zwinger kommen, dorthin, wo er hingehört.“ „Niemals“, verkündete Rhiannon. „Ich bin treu, wirklich. Eine Tatsache, derer Ihr Euch vielleicht erinnern wollt “, fügte sie sanft hinzu, „wenn eine böse Ahnung Euch dazu verleiten will, ohne Schal aus dem Haus zu eilen.“
„Hm“, sagte Edith. „Ich sehe, wie du dich in Ash Merricks Gegenwart benimmst. Wie ein scheues Fohlen, das den ihm angebotenen Apfel beschnuppert, argwöhnisch, aber sicher, dass die ausgestreckte Hand etwas Süßes enthält. Sei klug, Rhiannon, und lass dir das Schicksal des Fohlens eine Lehre sein. Viel zu oft lenkt die Hand, die den Apfel hinhält, von der anderen mit der Schlinge ab.“
Rhiannon lachte. „Ihr seid so klug und erfahren, aber Eure Fantasie führt Euch zu weit. Ich versichere Euch, Ash Merrick hat keinerlei Interesse, mich mit einer Schlinge oder sonst etwas einzufangen.“
Edith schüttelte den Kopf. „Wie kann ein Mädchen, das ich selbst erzogen habe, nur so weltfremd sein? Es muss aber wohl doch so sein, denn an dem Ausdruck in deinen Augen kann ich erkennen, dass du selbst glaubst, was du da sagst. Es ist ja nicht so, dass ich nicht verstünde, was ihn zu einer solchen Versuchung macht. Er hat ein zuvorkommendes Wesen, und er ist auch von selten gutem Aussehen.“ Sie strich ihre Röcke glatt und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich weiß, du denkst, ich wäre nur eine alte Frau vom Land, und das bin ich ja auch . . .“
„Nein“, unterbrach Rhiannon sie. „Ich vertraue Eurem Urteil mehr als dem aller anderen. Ihr seid mein Vorbild, bei Euch suche ich Rat.“
Edith richtete sich auf und lächelte erfreut. „Dann lass dir hierbei raten, Rhiannon. Halte dich von Merrick fern. Er ist gefährlich.“
„Gefährlich? Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Er ist freundlich und höflich und liebenswürdig und hat vielleicht auch ein bisschen mehr Schliff, als wir gewohnt . . .“ „Widersprichst du mir?“ Edith starrte Rhiannon mit offe-nem Mund an. Sie hätte nicht überraschter sein können, wenn der Hund plötzlich zu reden begonnen hätte. Rhiannon gab niemals Widerworte. Es lag nicht in ihrer Natur, sich stur zu stellen - außer wenn es um die Jagd oder Stella ging.
Rhiannon runzelte die zarte Stirn, und ihr Blick war halb verlegen, halb streitlustig. „Vielleicht“, murmelte sie und zupfte angelegentlich eine Klette aus Stellas Fell. „Verzeiht mir.“
Edith musterte sie voller Sorge. Sie wusste, was sie mit ihren eigenen Augen sah, und sie sah einen
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