Ashton, der Heißbluetige
Knochen wäre zersplittert, so dass das klare haselnussfarbene Auge auf immer erblindete.
„Hat man den Mann gefasst, der das getan hat?“ fragte er.
„Nein. Er ist nicht gefasst worden“, antwortete Phillip knapp.
„Sollte mich nicht wundem, wenn es nicht mehr lange dauert“, bemerkte Fortnum. „Dummkopf.“
„Warum das?“ hakte Ash nach.
„Seht Euch doch nur an, wen er sich als Opfer ausgesucht hat.“ Fortnums Miene war verächtlich. „Eine offene Kutsche, in der zwei Damen sitzen, und das auch noch am Nachmittag. Was hat er sich als Beute erhofft? Diamantbesetzte Tiaren?“
„Ich dachte, Mrs. Fraiser wäre gut betucht“, sagte Ash.
„Aye“, antwortete Fortnum, „das ist sie auch. Aber sie würde doch, was sie an Schmuck so hat, nicht am Nachmittag tragen. Vielleicht tut man das in London, aber wir hier in Fair Badden heben uns unseren Glitzerkram für Kerzenlicht auf.“
St. John, von der Wendung, die die Unterhaltung genommen hatte, sichtlich gelangweilt, begann angelegentlich seine Fingernägel zu studieren.
„Vielleicht hat er gedacht, sie hätten gefüllte Geldbörsen bei sich“, schlug Ash vor, während sich seine Gedanken überschlugen.
„Warum sollte er das denken?“ wollte Fortnum wissen. „Einfache Kutsche. Damen ohne bewaffnete Begleiter. Was mich wirklich böse macht, ist, dass der Hundesohn, als der Kutscher die Pferde angetrieben hat, auf die Damen geschossen hat. Das war völlig überflüssig und sinnlos.“
Ash musste zugeben, dass Fortnum da Recht hatte.
„Der Schurke hatte eine Maske auf“, fuhr Fortnum fort. „Niemand hätte ihn identifizieren können. Wenn nicht mein
Vater und ich auf derselben Straße unterwegs gewesen wären und den Schuss gehört hätten . .." Er sprach nicht weiter, schüttelte den Kopf.
Ungläubig runzelte Ash die Stirn - es hörte sich gerade so an, als wäre die Kutsche von Mrs. Fraiser und Rhiannon Ziel eines geplanten Anschlages gewesen.
Er seufzte abgrundtief, als ob die Taten böser Menschen sein Fassungsvermögen überstiegen, und stand vom Tisch auf. Lässig nahm er seinen Rock und seine um einiges leichtere Börse. Doch noch während er sich von den anderen verabschiedete, war er in Gedanken bereits damit beschäftigt, einen Brief an Thomas Donne zu verfassen.
Als verbannter Schotte, unvorstellbar reich, von verbindlichem Wesen und stets gelangweilt, fühlte sich Donne nichts und niemandem sonderlich verpflichtet. Aber er war immer auf der Suche nach einem amüsanten Zeitvertreib. Es konnte sein, dass er die Aufgabe, so viel wie möglich über eine schottische Waise herauszufinden, spannend genug fand, sich ihrer anzunehmen.
Die weiß getünchten Mauern des Fraiserschen Herrenhauses leuchteten warm im Licht der Nachmittagssonne, und im Garten war es angenehm mild. Auf dem grasbewachsenen Weg, der die Kräuter- von den Gemüsebeeten trennte, saß Rhiannon und ließ Stellas seidenweiche Ohren durch ihre Finger gleiten.
Die junge Hündin gähnte herzhaft, wobei sie riesige weiße Fangzähne und eine lange rosa Zunge entblößte. Dann reckte sie sich und schob ihren großen Körper mit einem behaglichen Knurren auf Rhiannons Schoß, seufzte zufrieden auf und schlief wieder ein. Rhiannon lächelte. Stella hatte eine so Furcht einflößende Abstammung und war doch so zahm, einfach weil man sie gut behandelt hatte.
Wie Ash Merrick.
Einen Augenblick lang, vorhin, als sie unter ihm gefangen gewesen war und sich gegen seinen Griff gewehrt hatte, hatte sie sich ehrlich vor ihm gefürchtet. Doch als sie seinen Namen gesagt und sein Gesicht in ihre Hände genommen hatte, da hatte er gezittert, gezittert. Sie fragte sich, wann er das letzte Mal ohne Gewalt oder ohne die Absicht, ihm Schmerzen zuzufügen, angefasst worden war.
Was verrückt war. Er war ein Gentleman aus London und ein sehr gut aussehender noch dazu. Viele Frauen mussten ihre Finger in seinem Haar vergraben und seine von Bartstoppeln rauen Wangen liebkost haben. Und doch - woher stammten die Narben an seinen Handgelenken? Wie erklärten sich die?
Von ihren Gedanken beunruhigt, wandte sich Rhiannon Stellas anderem Ohr zu. Die Wahrheit war, dass sie sich zu Ash Merrick hingezogen fühlte. Sie sollte sich schämen. Das war nicht anständig. Dennoch . . . was, wenn es so wäre?
Was wäre daran so schlimm? Sie war nicht so dumm, die Faszination, die er auf sie ausübte, mit einer dauerhafteren Empfindung zu verwechseln. Sie war lediglich wegen der Widersprüche in seinem
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