Ashton, der Heißbluetige
Mittag hatten sich die meisten Bewohner Fair Baddens bereits wieder auf dem Marktplatz eingefunden, um den fröhlich geschmückten Maibaum versammelt, und warteten auf eine neue Runde von Festlichkeiten.
Doch nicht alle. Im Haus der Fraisers saß Ash Merrick an dem langen, verkratzten Küchentisch, einen Krug Milch zwischen seinen Händen, die unerklärlicherweise zitterten. Er verzog angewidert das Gesicht, während er auf die weiße Flüssigkeit schaute.
Milch, um Himmels willen. Er hatte wirklich vergessen, wer er war. Letzte Nacht hatte er eine schlafende Rhiannon zurück in ihr Zimmer getragen und war gegangen, bevor Edith Fraiser nach Hause kam und das Bett der Ziehtochter leer vorfinden konnte. Dieser kleine Akt der Freundlichkeit war wenig genug, und dazu schuldete er ihn ihr, nachdem er Rhiannon die Jungfräulichkeit in der Nacht zwei Tage vor ihrer Hochzeit genommen hatte.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er hatte es nicht vorgehabt.
Oder doch? Er konnte noch immer nicht ganz begreifen, dass er sie in der fehlgeleiteten Absicht, sie vor vier- sowie zweibeinigen Jägern zu beschützen, suchen gegangen war. Nun, gefunden hatte er sie. Halb an einen Stamm gelehnt, den Kopf in den Nacken gelegt und ihr schlanker, eleganter Hals dargeboten, als erwarte sie den Kuss des Geliebten.
Aber es waren nicht die süße Hingabe ihrer Stellung oder ihre schwellenden Brüste oder auch das entblößte Bein nicht, das es ihm unmöglich gemacht hatte, ihr zu widerstehen. Nein, es waren ihre Füße gewesen, die ihn das letzte bisschen Anstand hatten vergessen lassen.
Ihre bloßen Füße, so zierlich und elegant, hatten unter dem bunt verzierten Kleid hervorgelugt. Auch wenn ihre rosigen Fußsohlen schmutzig von Gras und Erde waren, so waren ihre Zehennägel trotzdem sauber gewesen und hatten im Mondlicht wie kleine Seeohrmuscheln geschimmert.
Er hätte seinen letzten Penny verwettet, dass keine andere von Fair Baddens jungen Damen, die vorgaben, ein einfaches Bauernmädchen zu sein, barfuß gegangen war. Nur Rhiannon Russell hatte ihre Schuhe abgestreift und das frische, taufeuchte Gras zwischen ihren Zehen gespürt. Dieser Anflug von Ungezähmtheit, diese Andeutung, dass sie tief in sich den Wunsch verspürte, die Welt mit all ihren Sinnen zu erfahren, hatte seine Lust geweckt.
In diesem Moment hatte er stärker nach ihr verlangt, als er jemals zuvor nach etwas verlangt hatte. Er wollte ihr Geliebter sein, dem sie ihren Hals zum Kuss darbot. Jeder andere Gedanke hatte sich verflüchtigt angesichts dieses plötzlichen, unbeirrbaren Verlangens.
So hatte er seinen Mund auf ihren Halsansatz gepresst und ihren Puls wie einen gefangenen Vogel flattern gespürt. Das hatte ihrer beider Schicksal besiegelt. Denn nachdem er sie erst einmal berührt hatte, gab es kein Zurück mehr. Wenn er einen kurzen Gewissensbiss verspürt haben mochte, wenn eine leise Stimme ihn gebeten hatte, ein junges Mädchen doch nicht kurz vor ihrer Hochzeit zu entjungfern, so war jeder gute Vorsatz in ihm unter der glühenden Antwort ihrer Lippen erstorben. Ihr junger Körper hatte sich ihm entgegengebogen, sich ihm mit wundervoller Hingabe angeboten, jeden Skrupel in ihm zur Seite gefegt, mit der Urgewalt einer Lawine, die sich ihren Weg ins Tal bahnt.
Sein vergebliches Ringen um Selbstbeherrschung hatte nie auch nur eine Chance auf Erfolg. Er hatte sich selbst belogen. Sie hatte nur „bitte“ flüstern müssen, und jeder vernünftige Gedanke war in Flammen aufgegangen vor ihrem übermächtigen Verlangen.
Sie war aufrichtiger als ich, dachte er mit einem trockenen Lächeln. Denn wenigstens sie hatte gewusst, dass ihre Lust der Nacht entsprungen war. Nicht wirklich gewesen war. Er
schloss die Augen. Sie hatte gesagt, es wäre nicht wirklich. Das durfte er nicht vergessen.
Und tatsächlich würde der Morgen zweifellos den einfachen Frieden, den sie mit ihrem Gewissen gemacht hatte, auslöschen. Jetzt war es an der Zeit zu zahlen. Man musste immer irgendwann bezahlen.
Sie würde sich selbst verurteilen. Das sollte sie auch, denn jetzt würden in ihrer Hochzeitsnacht Fragen gestellt werden, und Rhiannon, die ehrliche Rhiannon, würde sie beantworten und sich selbst dabei vernichten.
Er fuhr sich mit den gespreizten Fingern durchs Haar, stand auf und starrte aus dem Küchenfenster. Stella, Rhiannons große Hündin, lag dort draußen und sah müßig einem Kaninchen zu, das sich an Edith Fraisers Gemüse gütlich tat. Ash beobachtete sie
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