Ashton, der Heißbluetige
Schauspiel seines Verglühens, Ashs letzte strahlende Stunden, anzusehen.“
„Sagt so etwas nicht!“ fuhr Rhiannon sie an, das junge Mädchen durch ihren jähen Ausbruch erschreckend. „Was für eine Sorte Mensch seid Ihr, dass Ihr so über Euren eigenen Bruder sprechen könnt?“
„Ach, Lady Fia, Miss Russell, benehmt Euch!“ Der Tadel erklang von der Türschwelle, wo Gunna stand. Fia drehte sich zu ihrer einstigen Kinderfrau um. „Ihr solltet nicht so reden. Miss Russell kann das nicht verstehen. Sie weiß nicht, wie es in Eurer Familie zugeht.“
„Wie sollte sie auch?“ fragte Fia gelassen, doch ihre glatten Wangen waren hochrot. „Ich verstehe es ja selbst nicht. Du hättest sie sehen sollen, Gunna. Sie hat mir beinahe den Kopf abgerissen, bloß weil ich ihr erzählt habe, was Ash treibt. . .“
„Ich wünsche nicht über ihn zu sprechen“, bemerkte Rhiannon und versuchte das Bild von Ash, brennend und ausgezehrt, aus ihrem Kopf zu verbannen.
„Dann werden wir das auch nicht“, verkündete Gunna und durchquerte das Zimmer zu der hohen Kommode, auf der Kamm und Bürste lagen.
„Werdet Ihr wie gewöhnlich Euren Morgenspaziergang machen, Miss Russell?“
„Ja“, antwortete Rhiannon dankbar.
„Dann lasst mich Euch das Haar frisieren. Und Ihr solltet Euch besser zu Bett begeben, Lady Fia“, bemerkte sie spitz. „Ihr seht selbst nicht allzu gut aus.“
Diese Nachricht beschleunigte deren Abgang in keiner Weise. Was auch immer man über Fia sagen konnte, es mangelte ihr völlig an Eitelkeit. Ihr lag weniger an ihrem Aussehen als irgendjemand anderem, den Rhiannon kannte, und das junge Mädchen misshandelte in gewisser Hinsicht seine Schönheit sogar.
„Geht schon, Lady Fia“, drängte Gunna sanfter. „Ihr könnt heute Abend zurückkommen und Euch mit Miss Russell unterhalten, bevor Ihr nach unten geht.“
„Oh, na gut“, gab Fia schließlich nach, sprang leichtfüßig auf und glitt anmutig durchs Zimmer. An der Tür drehte sie sich weder um, noch verabschiedete sie sich, bevor sie ging.
Gunna sah ihr hinterher, und Rhiannon musterte die alte
Frau neugierig. Offensichtlich hatte sie dieses unnatürliche Mädchen wirklich gerne.
„Sie hat nie die Vorteile genossen, die Ihr hattet, Miss“, murmelte Gunna, die Augen immer noch auf die Tür gerichtet, durch die Fia eben verschwunden war. „Sie kann nichts anderes sein, als sie ist, und hinter ihrer äußeren Erscheinung verbirgt sich viel mehr, als man erwarten konnte. Und niemand hier besitzt die Vorstellungskraft, das zu begreifen. “ Augenblicklich schämte sich Rhiannon für ihren Mangel an Mitgefühl. Wer wusste schon, was aus ihr selbst geworden wäre, wenn sie in diesem seltsamen, fehlplatzierten Vergnügungspalast aufgewachsen wäre?
„Ihr beschämt mich, Gunna. Es ist nur, dass es Fia nicht zu schmerzen oder auch nur zu kümmern scheint, wie es . . . ihrem Bruder geht, und das finde ich unnatürlich.“
„Sie empfindet den Schmerz sehr wohl“, stieß Gunna aus und richtete dann ihr gesundes Auge auf Rhiannon. „Wie Ihr, Miss. Um seinetwegen.“
Rhiannon schüttelte heftig verneinend den Kopf. „Ein tollwütiger Hund läge mir mehr am Herzen als er.“
„So weichherzig seid Ihr?“ spottete Gunna und lachte keckernd. „Das müsst Ihr in dem kleinen Dorf gelernt haben, denn kein Russell, den ich kannte, wurde je beschuldigt, eine mitfühlende Seele zu haben.“
„Ihr kanntet die Russells gut genug, um über ihr Wesen Bescheid zu wissen?“ ging Rhiannon darauf ein, froh über die Gelegenheit, das Thema zu wechseln.
„Ein bisschen“, antwortete Gunna.
Verschiedene Male zuvor schon hatte Gunna vage Bemerkungen über Rhiannons Familie fallen lassen, und mit jedem Mal wuchs Rhiannons Neugier Wenn ein Name fiel, sah sie plötzlich ein Gesicht aus ihrer Kindheit vor ihrem geistigen Auge: Ross of Tillbridge mit seinen buschigen Augenbrauen, Jamie Culhane, ein alter Mann mit unwahrscheinlich rotem Haar, und Lady Urquardt, eine dünne Dame, die jedermann an ihren sie stets und überall begleitenden, winzigen Spaniels erkennen konnte.
Stück für Stück fügte Rhiannon so für sich eine Vergangenheit zusammen, die sie geleugnet hatte, und eine Familiengeschichte, die ihr nie erzählt worden war.
„Mein Vater.“ Die Worte entschlüpften Rhiannons Lippen ungewollt.
„Was ist mit ihm?“ fragte Gunna, während sie ihr die Haare kämmte.
„Habt Ihr . . . habt Ihr ihn gekannt?“ Sie hörte selbst das vorsichtige
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