Asperger - Leben in zwei Welten
dringend notwendig ist, Strukturen zu schaffen, um ein Miteinander zu ermöglichen. Ansonsten befürchte ich, dass die Ausgrenzung im Prinzip arbeitsfähiger Menschen immer weiter voranschreiten wird. Umgekehrt aber denke ich, dass bei Ãnderung einiger Rahmenbedingungen, was selbst in komplexen Arbeitsbereichenzumindest teilweise möglich wäre, auch auf offizieller Basis ein Autist sehr leistungsfähig sein kann.
Karriereplanung â es ist alles möglich
Ich möchte dazu sagen: »Es ist alles möglich«, man sollte seine Ziele und Träume verfolgen. Oft ist hierbei für Autisten der Energieaufwand im Vergleich zu Nichtautisten ungleich höher, aber nach dem Erreichen der Ziele oder Zwischenziele sind wir häufig auch zufriedener als andere Menschen.
Mir wurde bereits während der Schulzeit sehr häufig prophezeit, dass aus mir »nichts werden kann«, dass ich dies alles nie kapieren würde und dass ich mich »sowieso zu blöd für alles« anstelle â aus heutiger Sicht kann ich darauf antworten: Ich bin mit Mitte DreiÃig Fachärztin für Innere Medizin und habe sogar für Normalo-Ansprüche einen ordentlichen Lebenslauf. Zusätzlich habe ich mittlerweile erkannt, was es bedeutet, stets seinen eigenen Weg selbst erfinden zu müssen und nicht von den allgemein üblichen Vorgehensweisen profitieren zu können. Auf das Bestehen gegen all die von auÃen unbewusst aufgestellten Hürden bin ich inzwischen stolz. Denn ich habe meine Ziele erreicht in einer Welt, deren Sprache und Wahrnehmung mir fremd sind und deren Handwerkszeug des Alltags ich mir mühsam aneignen musste.
Für die Zukunft und die Karriere von Autisten würde ich mir wünschen, dass auch sie all dies erreichen dürfen, in ihrer eigenen Sprache und Wahrnehmung und mit viel weniger Energieaufwand. Dann bin ich mir sicher, dass wirklich alles möglich ist.
Obwohl sich viele erwachsene Autisten (die oft selbst nicht einmal wissen, warum die Welt um sie herum so »verkehrt« ist, da die Diagnose noch immer viel zu häufig übersehen wird) aufgegeben haben, möchte ich an den Glauben an ihre Fähigkeiten appellieren. Ich bin überzeugt davon, dass es sich lohnt, weiterhin für ein Miteinander zu kämpfen. Wir sind nicht so unfähig, wie wir oft dargestellt werden. Wir sehen die Dinge einfach anders, aber nicht falsch. Wir tun vieles auf einem anderen Weg â aber wer darf bestimmen, welches der richtige Weg ist?
Stress bewältigen â eigene Entspannungstechniken finden
Vermutlich besteht in jeder Arbeits- und Berufssituation für einen Autisten Stress, denn alle Tätigkeiten finden in einem für nicht autistische Menschen konzipierten Umfeld statt und nach einem Schema, welches mehr auf sozialer Intuition als auf logischer Herangehensweise basiert. Somit wird fast jeder Arbeitsalltag für einen autistischen Menschen energieraubender sein als für Nichtautisten. Durch Anpassung der Rahmenbedingungen, soweit dies möglich ist, kann ein Teil des Stresses reduziert werden. Wenn der Autist von seinenEinschränkungen und Schwierigkeiten weià und es lernt, stressvermeidende Verhaltensweisen anzuwenden, kann in gewissen Grenzen ein Arbeiten unter den normalen Bedingungen möglich werden. Nach meiner Erfahrung ist aber ein solcher Arbeitstag dennoch sehr mühsam. Die zum Teil im fachlichen Bereich bestehenden Vorteile bleiben wegen der sozialen Hürden oft im Hintergrund. Insgesamt erscheint es mir nötig, dass man einen guten Stressbewältigungsmechanismus aufbaut. Seit vielen Jahren benutze ich dafür das Joggen. Meist laufe ich die gleiche Strecke (immer einfach am Fluss entlang), denn so spare ich Energie (auf neue Wege müsste ich mich mühsam konzentrieren, denn ich habe einen sehr schlechten Orientierungssinn). Durch die körperliche Belastung schaffe ich es, die sich im Arbeitsalltag angehäuften Gedanken (mein Freund nennt sie Hirnschwurbel, denn sie sind ungeordnet und ohne sinnvolle graduelle Abstufung) in eine Ordnung zu bringen. Erst mit einer gewissen Ordnung kann ich mich an die Erarbeitung von Lösungsstrategien für Probleme machen. Dabei ist es egal, ob es sich um komplexe soziale Schwierigkeiten oder die Vorbereitung eines Fachvortrages handelt, wobei mir fachliche Inhalte leichter fallen als soziale Fragestellungen.
Früher versuchte ich, vor dem Fernseher auszuruhen, denn ich sah
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