Asperger - Leben in zwei Welten
Sprachrohr, um kommunikative Hindernisse zu überwinden, wäre ein solcher Mensch sehr wertvoll. Im Alltag der vielfältigen Berufswelt ist dies derzeit aber vielfach ein Wunschtraum. So liegt es an jedem Menschen und besonders an Menschen mit Beeinträchtigungen selbst, im eigenen Umfeld fürVerständnis und Miteinander zu werben. Leider sind wir Autisten diesbezüglich nicht allzu begabt und mit unserer direkten und oft fordernd und kompromisslos erscheinenden Art politisch nicht ganz glücklich im Vorgehen. Von dieser Stelle aus kann ich meinen Kollegen und Vorgesetzten nur versuchen zu erklären, dass ich zwar oft aus Ãberforderung, Verzweiflung und Stress heraus Dinge fordere und anmahne, aber insgeheim und in ruhiger Stunde zu Hause doch sehr froh bin über alles, was mir der bisherige Berufsalltag an Chancen und Möglichkeiten gegeben hat. Mir ist sehr wohl bewusst, dass der Umgang mit mir und meinen Verhaltensweisen eine Herausforderung für alle darstellt und dass viele durch mich entstandene Situationen energieraubend und mühsam waren.
Seit ich versuche, mich in die vermutlichen sozialen Vorstellungen von Nichtautisten hineinzudenken, kann ich ein bisschen nachvollziehen, wie merkwürdig manches erschien.
Ich weià heute, dass die im Berufsalltag erzwungene Interaktion zwischen zwei Menschengruppen, welche eine komplett verschiedene Wahrnehmung haben und damit auch unterschiedliche Verhaltensweisen zum Erreichen von Zielen benutzen, fast immer zu Missverständnissen und in der Folge zu Vorurteilen oder gar Verurteilungen führt. Viele meiner schlaflosen Nächte entstanden dadurch, dass ich Alltagssituationen im Beruf anders beurteilte, als dies ein Nichtautist tun würde. Alles, was ich beurteile, unterliegt meinen eigenen Wertevorstellungen und meinen eigenen â auch von bisherigen Erfahrungen geprägten â Interpretationen. Seit ich versuche, mich in die vermutlichen sozialen Vorstellungen von Nichtautisten hineinzudenken, kann ich ein bisschen nachvollziehen, wie merkwürdig und unpassend manche meiner Handlungen und Aussagen angekommen sein müssen. Es fällt mir sehr schwer, die Gedanken- und Wahrnehmungswelt von Nichtautisten nachzuvollziehen, denn sie scheint von Smalltalk und Oberflächlichem geprägt zu sein, und dies sind Dinge, bei denen mir eine intuitive Einordnung nicht möglich ist. Ich kann nur versuchen, sie rational zu verstehen. Zusätzlich ist mir diese Wertevorstellung sehr fremd, und ich kann auch im Nachhinein sagen, dass ich die Dinge, die ich in meiner Naivität oft aussprach, meist wirklich so gemeint habe und inhaltlich noch immer so meine. Heute weià ich, dass es zum Teil cleverer wäre, manche Sachverhalte und Meinungen unkommentiert stehen zu lassen. Hierfür ist allerdings ein sehr groÃer Energieaufwand nötig, denn es fällt mir schwer, meinen Mund zu halten. Oft ärgere ich mich im Nachhinein über mein »Blubbern«, aber in dem betreffenden Moment muss einfach das heraus, was ich denke. Vermutlich ist durch genau dieses Verhalten von meiner Seite in der Arbeitsumgebung häufig eine provozierende Situation entstanden. Im gegenseitigen Unverständnis wurde mir dies als Uneinsichtigkeit, Besserwisserei oder Arroganz ausgelegt. Dass ich nur meine Meinung zum jeweiligen Thema mitteilen wollte, meist ohne überhaupt zu bemerken, dass ich jemandem auf den Schlips trat, wurde nicht verstanden.
Vielleicht kann in Zukunft durch offeneren Umgang mit Behinderung und durch Verbesserung der Kommunikation ein einfacheres, konstruktiveres und entspannteres Miteinander erreicht werden. Vielleicht kann es dann auch gelingen, dass ich meine andere Wahrnehmung erkläre und in manchen Situationen sogar gewinnbringend einsetze.
Der Umgang mit Vorgesetzten
Für mich war es schon immer einfacher, mit älteren Menschen umzugehen. Bei Gleichaltrigen gab es häufig Probleme. So verhält es sich, wenn es um fachliche Inhalte geht, auch mit Vorgesetzten. Meist kommt es zu interessanten Diskussionen, und dies macht für viele Autisten den Arbeitsinhalt aus. Problematisch kann es werden, wenn der Autist auf seiner fachlichen Meinung besteht. Dies kann auch vor Vorgesetzten passieren, die sich dann eventuell angegriffen und durch die beharrliche Art der MeinungsäuÃerung auf den Schlips getreten fühlen. Häufig beschäftigt sich ein Autist sehr intensiv mit seinem Lieblingsthema und
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