Assassini
Morgenmantel übergestreift und trat zu mir auf den Treppenabsatz.
»Ich könnte mir vorstellen, wo mein Vater sich aufhält«, sagte sie. »Er und Richter haben öfters einen bestimmten Treffpunkt erwähnt. Er muß irgend etwas mit dem katholischen Glauben zu tun haben. Sie haben darüber gelacht, denn Richter sagte immer, dieser Treffpunkt sei zwar nicht am Ende der Welt, aber man könne es von dort aus sehen …«
»Er hat mit dem katholischen Glauben zu tun? Was soll das bedeuten? Ist es eine Kirche? Ein Kloster?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, wie sie diesen Ort nennen.«
»Wie, Gaby?«
» L’Inferno. «
3
Die Aktenmappe, die Elizabeth unter Vals Hinterlassenschaft gefunden hatte, erwies sich als Enttäuschung, enthielt sie doch nichts weiter als etwa zwanzig unbeschriebene Seiten. Nur auf dem Umschlag der Mappe waren sechs Namen und Zahlen aufgelistet, die anscheinend Monats- und Jahresangaben waren und die nur hinter dem letzten Namen fehlten.
1. Claude Gilbert 2-81
2. Sebastian Arroyo 8-81
3. Hans Ludwig Müller 1-82
4. Pryce Badell-Fowler 5-82
5. Geoffrey Strachan 8-82
6. Erich Kessler
Was immer Val an Hintergrundinformationen gesammelt hatte -es war verschwunden. Wahrscheinlich hatte sie die entsprechenden Unterlagen in ihrem Aktenkoffer aufbewahrt, den sie mit sich geführt hatte, als sie ermordet worden war.
Nur auf einem einzigen Blatt in der Mappe war eine kurze, handgeschriebene Notiz. Notiz? Es war eine Aneinanderreihung von Großbuchstaben, denen Elizabeth keinerlei Bedeutung entnehmen konnte. Offenbar ein Code, den Val benutzt hatte, und der nicht zu entschlüsseln war. Jedenfalls hatte es den Anschein. Dennoch steckte Elizabeth dieses Blatt ein.
Als sie in ihr Büro zurückkehrte, fand sie dort ein Chaos aus Fernschreiben, Agenturmeldungen, Presseberichten und anderem vor, das es erst einmal aufzuarbeiten galt, doch am folgenden Tag fand sie die Zeit, Schwester Bernadine auf die Seite zu nehmen und ihr die Namensliste zu geben.
»Ich habe einen etwas ungewöhnlichen Auftrag für Sie, Schwester«, sagte Elizabeth. Bernadine nahm, mit einer Zigarette im Mundwinkel, die Fotokopie der Liste entgegen und runzelte die Stirn. »Der eine oder andere Name wird Ihnen wie auch mir sicherlich bekannt sein«, sagte Elizabeth. »Ich wette, alle diese Männer sind tot, wahrscheinlich in den Monaten verstorben, die hinter den Namen angegeben sind. Also in den letzten anderthalb Jahren. Ich möchte Sie bitten festzustellen, in welchen Zeitungen die entsprechenden Todesanzeigen erschienen sind, und ihnen alle Informationen zu entnehmen, die Sie bekommen können. Übersetzen Sie sie ins Englische, damit ich keinen dummen Fehler mache. Okay?«
»Ist schon so gut wie erledigt. Aber es kann eine Weile dauern …«
»Treten Sie jedem, der nicht spurt, mit der ganzen Kraft unserer heiligen Mutter Kirche in den Hintern. Die Sache ist wichtig. Und bitte, behalten Sie es für sich.«
Schwester Elizabeth wußte, daß die Geheimen Archive des Vatikans einzigartig auf der Welt waren.
Vierzig Kilometer Bücherregale voller Kostbarkeiten, voller Geheimnisse, voller Wunder.
Sie wußte, daß die Historiker diesem Archiv den Spitznamen ›Schlüssel zu St. Peter‹ gegeben hatten. Ohne diesen Schlüssel wäre das ›finstere Mittelalter‹ noch immer sehr viel finsterer, was die historischen Forschungsergebnisse betrifft.
Und irgendwo im Labyrinth der Geheimen Archive waren die Antworten auf Fragen verborgen, die Generationen von Gelehrten beschäftigt hatten. Oder auf Fragen, die schon vor Jahrhunderten so manchem romantischen Studenten schlaflose Nächte bereitet hatten: Ob Prinz Orsini seine Frau Isabella in der Hochzeitsnacht wohl eigenhändig erwürgt hatte? Oder hatte er einen Meuchelmörder beauftragt? War die heilige Katharina mit ihrem langen blonden Haar in Wirklichkeit Lucrezia Borgia gewesen?
Welche düsteren Geheimnisse mochten sich allein in den siebentausend Ablaßbüchern befinden, allesamt gewichtige Folianten? Was hatte die Vergebung von Sünden wie Diebstahl, Ehebruch, Mord gekostet? Was hatte man dafür bezahlen müssen, um sich der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen? Geld und Schätze aller Art, ja. Aber wie sah die Bezahlung aus, wenn sie in Form persönlicher Dienstleistungen für die Päpste und deren Günstlinge entrichtet worden war?
Und wie sahen die Antworten auf jene Fragen aus, die Val Driskill, Ordensschwester aus dem zwanzigsten Jahrhundert, so sehr
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