Assassini
beschäftigt hatten? Lagen diese Antworten irgendwo hier im Irrgarten der Geheimen Archive verborgen?
Vielleicht in einem der fast fünftausend Bände, in denen sich die päpstlichen Erlasse, Protokolle und Eintragungen sonstiger Art befanden, beginnend mit den Briefen Innozenz’ III. aus dem Jahre 1198? All diese einzigartigen Urkunden waren in riesigen Folianten gebunden, und die Tinte, mit denen die uralten Zeilen niedergeschrieben waren, hatte im Laufe der vielen Jahrhunderte eine goldene Farbe angenommen …
Unter allen fondi, wie jede einzelne, nach Sachgebieten geordnete und zum Teil katalogisierte Sammlung von Briefen, Dokumenten und Urkunden jeglicher Art genannt wurde – und kein Mensch kannte die genaue Zahl sämtlicher fondi –, gab es einen fondo, dessen Bestände allein fünfzehn Räume der Geheimen Archive in Anspruch nahm: die sogenannten Miscellanea. Niemals archiviert, seit Jahrhunderten praktisch unangetastet, unerforscht; wissenschaftliches Neuland, terra incognita; ein ungeordnetes Sammelsurium einmaliger Kostbarkeiten.
Ungezählte Male hatten Gelehrte gesagt – und das zu Recht –, Gott allein wisse, welche Geheimnisse, welche Wunder, welche Antworten auf welche Fragen noch in den Geheimen Archiven schlummerten.
Die Aufzeichnungen der Inquisitionsverhandlung gegen Galileo Galilei.
Der Briefwechsel zwischen Heinrich VIII. und Anne Boleyn.
Die private Korrespondenz des Borgia-Papstes Alexander mit seinen Mätressen – Lucrezia, Vannoza dei Cattanei und Julia Farnese.
Die Akten der Rota, des obersten Gerichtshofes der römischkatholischen Kirche, Urkunden voller historischer Brisanz.
Die Archive der Glaubenskongregation.
Die Unterlagen über jene Verhandlungen, die einer Selig- oder Heiligsprechung vorausgehen mußten, und die auch die Berichte der Advocati diaboli enthielten, die bei einer Kanonisierungsverhandlung die Gegenargumente vorbrachten.
Die vollständigen Akten des Prozesses gegen Monaca di Monza, welche die vertraulichsten, intimsten Einzelheiten aus dem Leben der Nonne von Monza und ihrer Glaubensgenossinnen offenbarten.
Das fondo über die Nuntiatur von Venedig, das nach dem Zerfall der Republik Venedig im Jahre 1835 in den Geheimen Archiven eingelagert wurde und das die Geschichte dreier religiöser Institutionen enthielt, die im siebzehnten Jahrhundert mit unvorstellbarer Grausamkeit verfolgt worden waren. Und so unendlich vieles mehr …
Val hatte Elizabeth gegenüber öfter erwähnt, daß es so gut wie unmöglich sei, in den Geheimen Archiven, in dieser Unermeßlichkeit aus Büchern, Akten, Pergamenten, buste, bei der Suche nach bestimmten Unterlagen planmäßig vorzugehen.
Val hatte Elizabeth auch von der camera meridiani erzählt, die sich im sogenannten Turm der Winde befand. In diesem quadratischen Raum war eine Sammlung von neuntausend buste untergebracht, allesamt noch nicht katalogisiert, unerforscht, unbekannt. Nur um diese neuntausend Aktenmappen zu katalogisieren und zu systematisieren, wären vier Archivare fast hundert Jahre lang beschäftigt. Hundert Jahre …
Das einzige wirklich bedeutsame Findbuch, wie die Archivare den Schlüssel zu den verschiedenen Beständen bezeichnen, war vor langer Zeit von Kardinal Garampi in Auftrag gegeben worden. Allein dieses ›Findbuch‹ umfaßte jedoch eine Bibliothek mittlerer Größe. Zudem war es ungenau, unvollständig und völlig überaltert. Und außerdem in einer verschlüsselten Schrift niedergelegt.
Elizabeth war sich dieser Probleme wohl bewußt. Und sie kannte auch die sogenannte Hundert-Jahre-Vorschrift der Geheimen Archive. Zu Akten, die jünger als einhundert Jahre waren, gab es keinen Zugang. Absolut keinen Zugang.
Sie konnte sich erinnern, was Curtis Lockhardt über die ›Hundert-Jahre-Vorschrift‹ gesagt hatte: »Gäbe es diese Regelung nicht«, hatte er erklärt, »müßte sich die Hälfte all jener Menschen, die die Geschicke der Welt lenken, das Leben nehmen. Gott sei gedankt für diese Vorschrift. Wir Katholiken wissen eben, wie man bestimmte Dinge handhaben muß. Gelobet sei der Herr.«
Die Geheimen Archive wurden von insgesamt sechs Personen verwaltet, deren Vorgesetzter der sogenannte ›Präfekt‹ war.
Elizabeth wollte den derzeitigen Präfekten, Monsignore Petrella, in einer halben Stunde am Cortile del Belvedere treffen, wo sich die Geheimen Archive befanden. Monsignore Sandanato, den mit Petrella beinahe eine Art Freundschaft verband, hatte sich für Elizabeth verwendet, um ihr
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