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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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hielt irgend etwas in der Faust …
    Als Lockhardt erkannte, was es war, strömten innerhalb eines Sekundenbruchteils alle Kräfte aus seinem Körper und wichen einem lähmenden Schock. Er versuchte zu begreifen, was hier vor sich ging. Der alte Priester war hier völlig fehl am Platze. Er kam nicht aus Curtis Lockhardts Machtetagen. Und er hielt einen Revolver in der Faust.
    Lockhardt hörte ein seltsam dumpfes Geräusch, als würde ein Pfeil in eine nasse Zielscheibe schlagen.
    Andy Heffernan wurde zurückgeschleudert und prallte gegen das Panoramafenster, bildete einen Schattenriß im Gegenlicht; seine Arme waren wie die des Gekreuzigten zur Seite ausgestreckt, als wartete er darauf, daß Nägel durch die Handflächen getrieben würden. Dann ertönte das dumpfe Geräusch noch einmal, und das sonnenverbrannte Gesicht Heffernans zerplatzte -wurde zerrissen, endgültig, unwiderruflich; in Lockhardts Hirn rasten die Gedanken, während er beobachtete, was geschah, starr vor Entsetzen, nicht fähig, sich zu bewegen, fortzulaufen, sich auf den Revolverschützen zu stürzen. Das Gesicht, das er seit so vielen Jahren kannte, wurde in einer Explosion aus Blut und Knochen zerfetzt. Ein spinnenwebartiges Netz feiner Risse erschien auf der blutbespritzten Glaswand, in dessen Zentrum sich ein Loch befand, das die Größe einer Männerfaust besaß.
    Lockhardt starrte auf das hinunter, was von seinem Freund übriggeblieben war, starrte auf die schmierigen, blutroten Schlieren, die der zu Boden rutschende Körper auf dem Glas hinterlassen hatte. Lockhardt löste sich aus seiner Erstarrung, tastete sich an der Kante der Tischplatte entlang, bewegte sich langsam, wie in einem Alptraum, auf den Leichnam Heffernans zu. Sein Körper gehorchte ihm nicht richtig. Alles schien so weit entfernt, undeutlich und getrübt, als blickte er durch einen langen Tunnel.
    Langsam drehte der Priester sich zu ihm um, die Waffe im Anschlag.
    »Gottes Wille geschehe«, sagte er, und Lockhardt versuchte zu begreifen, versuchte, den Sinn dieser Worte zu entschlüsseln. »Gottes Wille geschehe«, flüsterte der alte Priester noch einmal.
    Lockhardt starrte in die Mündung der Waffe, blickte in die Augen des alten Mannes, doch er sah etwas ganz anderes: ein kleines Mädchen in einem geblümten Badeanzug, das fröhlich lachend unter den Regenbogenstrahlen einer Berieselungsanlage tanzte, auf feuchtem, frisch gemähtem Rasen, die gebräunte Haut naß glänzend im Sonnenlicht.
    Lockhardt vernahm seine eigene Stimme, konnte aber nicht hören, nicht begreifen, was er sagte. Vielleicht rief er dem kleinen Mädchen etwas zu, rief ihren Namen, wollte zu ihr kommen, bevor es zu spät war, wollte in den Schutz der Vergangenheit fliehen …
    Der Priester wartete; auf seinem Gesicht lag ein freundlicher, beinahe besänftigender Ausdruck, als wollte er Curtis die Gelegenheit geben, sich wieder zu fangen, sich zu beruhigen.
    Dann drückte der alte Geistliche ab.
    Lockhardt stürzte zu Boden; sein Kopf ruhte am kühlen Glas des Panoramafensters. Er erstickte am eigenen Blut, das seine Lungen füllte. Vor seinen Augen verschleierte sich alles, wurde undeutlich und dunkel und schemenhaft, immer schneller, immer schneller, als würde sich im Zeitraffertempo die Dämmerung herabsenken, und das Bild des tanzenden Mädchens war kaum mehr zu erkennen. Statt dessen konnte er die Umrisse von St. Patrick’s sehen, tief unter ihm, verwaschen und nebelhaft. Die Türme schienen sich ihm entgegenzustrecken, schienen wie riesige Finger auf ihn zu zeigen.
    Er sah ein schwarzes Hosenbein neben seinem Gesicht. Er spürte, wie irgend etwas Stumpfes, Rundes gegen seinen Hinterkopf gedrückt wurde.
    Curtis Lockhardt blinzelte angestrengt, versuchte noch einmal, ein letztes Mal, die Gestalt des tanzenden Mädchens zu sehen, doch sein allerletzter Blick fiel auf die Türme von St. Patrick’s.

ERSTER TEIL

1 DRISKILL
    Ich kann mich an den ersten Tag noch ziemlich genau erinnern.
    Ich war von Drew Summerhays zum Mittagessen in dessen Club eingeladen worden. Er war die graue Eminenz unserer florierenden Anwaltskanzlei Bascomb, Lufkin und Summerhays. Er besaß den schärfsten Verstand, der mir je bei einem Menschen begegnet war, und er war von so hoher geistiger Beweglichkeit, daß die meisten unserer Tischgespräche sowohl informativ als auch unterhaltsam verliefen. Und es gab immer irgendein Thema. Summerhays war in diesem Jahr zweiundachtzig geworden, so alt wie das Jahrhundert, aber er wagte

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