Assassini
St. Patrick’s; ihre beiden Kirchtürme erhoben sich majestätisch über der Fifth Avenue.
Curtis hatte plötzlich das Gefühl, auf einer dünnen Wolke über der Stadt zu schweben. Unwillkürlich krampfte er die Linke um den Handlauf der Treppe, während er langsam die mit flauschigem Teppich belegten Stufen hinunterstieg. Er konnte sich kaum von dem Anblick losreißen.
»Ich bin mal eben pinkeln.« Heffernans Stimme drang hinter einer geschlossenen Tür hervor. »Muß meinen kleinen Freund noch zwei-, dreimal schütteln, dann komme ich zu Ihnen.«
Lockhardt wandte sich wieder den riesigen Glasfenstern zu. Er war wie verzaubert von der Klarheit und Weite der Aussicht. Er mußte fast die Nase ans Glas drücken, um hinunter auf St. Patrick’s schauen zu können, einen so atemberaubenden Blick auf diese Kirche zu genießen, wie ihn sich ihre Erbauer in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können.
»Gott segne unser kleines Heim.« Monsignore Heffernan, ein hochgewachsener Mann mit dünnem rotem Haar und einer Nase, die er von einem Zirkusclown gestohlen zu haben schien, kam mit schweren Schritten auf Lockhardt zu. Er hatte einen Sonnenbrand; seine Haut war rot und schälte sich an einigen Stellen. Er trug ein schwarzes Hemd mit steifem, hohem Priesterkragen, eine schwarze Hose und schwarze Pantoffeln mit Troddeln. Seine wäßrigen blauen Augen blinzelten hinter einer Wolke aus Zigarrenqualm. Aufgewachsen in der Armut des irischen Viertels im Süden Bostons, hatte er sich seinen Weg nach oben hart erkämpft. Er war schon jetzt ein sehr wichtiger, einflußreicher Mann in seiner Welt, und er weitete seine Macht immer mehr aus, indem er sein Bündnis mit dem großen amerikanischen Königsmacher festigte. Allerdings konnten diese Männer sich gegenseitig von Nutzen sein – was beiden sehr gelegen kam und was der Monsignore als eine gute Umschreibung des Begriffes Freundschaft betrachtete. Andy Heffernan war ein glücklicher Mensch.
»Für einen reichen Mann sehen Sie ausgesprochen tugendhaft aus, Curtis. Nehmen Sie sich eine Zigarre.« Er wies auf eine kleine Holzkiste, die auf einem Tisch mit schwerer, fünf Zentimeter dicker Glasplatte stand.
»Sie haben mich überredet«, sagte Lockhardt. Er zündete sich eine Monte Cruz mit einem Dunhill-Zigarrenfeuerzeug an, nahm einen Zug und genoß das würzige Aroma. »Wo haben Sie sich den Sonnenbrand geholt? Sie sehen ja aus wie ein Hummer.«
»Florida. Bin erst gestern von einem einwöchigen Wohltätigkeits-Golfturnier zurückgekehrt. Wundervolle Woche.« Heffernan ging zu einem Stuhl hinter dem Tisch und setzte sich. Vor ihm lagen mehrere Aktenmappen, ein Notizblock, die Zigarrenkiste; daneben standen das Telefon und ein schwerer Aschenbecher. Lockhardt nahm ihm gegenüber Platz. »Und prächtige Jungs«, fuhr Heffernan fort. »Jackie Gleason, Johnny und Tom und Jack. Allesamt prächtige Jungs. Es gibt eine Menge netter Burschen unten in Florida. Tun für die Kirche einfach alles. Hat ganz schön was eingebracht für das Kinderheim Unserer Lieben Frau des Friedens. Und dann erst das Golfturnier! Sie werden es nicht glauben, aber ich habe es geschafft, einmal aus weniger als zehn Zentimetern nicht einzulochen. Stellen Sie sich das mal vor! Hätte man glatt im Fernsehen zeigen müssen – zehn Scheißzentimeter. Ist mir schon mal in Schottland passiert, in Muirfield … ach, glückliche Zeiten. Was kann ein Mann mehr verlangen, Curtis? Genießen Sie das Leben! Tot sind wir lange genug …«
»Wobei es keine Rolle spielt, ob es ein Leben nach dem Tod gibt?«
»Nun hören Sie schon auf mit Ihren theologischen Anspielungen. Man muß auch in dieser Welt jede Chance nutzen. Nehmen Sie, was Sie kriegen können, Curtis.« Heffernan lachte in der ihm eigenen Weise – laut und ordinär, womit er immer den Eindruck zu erwecken glaubte, einem Gesprächspartner gegenüber so offen zu sein wie ein Freudenhaus am Samstagabend.
»Wozu auch die zehn Millionen gehören?« Lockhardt lächelte sein Gegenüber an und blies einen Rauchring aus. Diese Summe war so groß, daß sie ihre Wirkung auf Heffernan nie verfehlte, zumal sie bei den Gesprächen, welche die beiden Männer geführt hatten, nur selten genannt worden war.
»Zehn Millionen …« Heffernans Gelächter erstarb von einem Moment zum anderen. So viel Geld war eine sehr ernsthafte Angelegenheit – sogar für die rechte Hand des Erzbischofs Kardinal Klammer. Lockhardt fragte sich immer wieder, was im Kopf dieses
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