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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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das Kinn auf die verschränkten Hände legte.
    »Wir haben hier nur eine einzige Regel«, sagte er mit einer Stimme, die fast schon ein Flüstern war, »nämlich die, uns möglichst aus dem Weg zu gehen. Es gibt Eremiten unter uns, die den größten Teil ihrer Zeit in der Wüste verbringen. Die meisten von uns reden; einige aber sagen niemals ein Wort. Wir alle verstecken uns hier vor irgend etwas, vor unserer Vergangenheit, und wir geben uns nicht der Illusion hin, wieder Frieden mit Gott schließen zu können. Wir machen uns keine falschen Vorstellungen mehr über den Zustand der Gnade. Wir stellen uns nicht mehr die bange Frage, ob wir die Vergebung unserer Sünden finden. Wir alle standen kurz davor, die schlimmste aller Todsünden zu begehen, den Selbstmord. Warum? Ich glaube, es liegt hauptsächlich daran, daß wir Angst davor haben, was uns im Jenseits erwartet … oder wie immer man diesen Ort bezeichnen möchte. Wir verbergen uns hier. Wir verstecken uns hier in Furcht und Scham, weil wir zu Kreaturen der Furcht und Scham geworden sind.«
    Seine Stimme war trotz seiner düsteren Worte frei von jeder Gefühlsregung. Ich spürte, wie mich eine Gänsehaut überlief und mein Rücken wieder zu schmerzen begann, und beides hatte nichts mit der allmählich hereinbrechenden nächtlichen Kühle zu tun. Ich hatte das Gefühl, das Gegenstück zu der Leere und den Abgründen gefunden zu haben, die ich in den Augen des silberhaarigen Priesters gesehen hatte.
    »Ich bin hierhergekommen«, sagte der Abt, »weil ich es verdient habe, hier zu leben. Ich habe das Böse in meinem Kloster in der Dordogne gesehen, vor vielen Jahren. Sodomie und Korruption und Schändlichkeiten aller Art, also nahm ich Gottes Schwert in die Hände. Ich hatte in meiner Mönchszelle eine Vision … Ich habe die Sünder aus dem Augenwinkel beobachtet, als wir im Stiftshaus die Ordensregel lasen. Sie hatten diesen Ort entweiht. Mitten in der Nacht ging ich zu ihren Zellen, sah, wie sie verkehrten wider die Natur, und ich machte ihrem Treiben mit meinen Händen ein Ende. Meine Kutte war getränkt von ihrem Blut … Ich verließ das Kloster zu Fuß, und niemand folgte mir.
    Zwei Jahre darauf hatte ich den Weg bis hierher hinter mich gebracht – und Jahre später mußte ich feststellen, daß Pius XII möglicherweise wußte, wo ich mich aufhielt. Es fand ein Briefwechsel statt, und ich wurde zum Abt ernannt.«
    Er hatte kein Wort über LeBecq gesagt, bis wir im Speisesaal ein karges Abendessen zu uns genommen hatten. Ich war zu müde, um das Thema noch einmal zur Sprache zu bringen, nahm kaum Notiz von meiner Umgebung. Das Aspirin, das ich auf leeren Magen genommen hatte, ließ alles nebelhaft erscheinen. Aber die Schmerzen im Rücken hatten nachgelassen, und die Wunde blutete nicht mehr, dank Bruder Timothy.
    »Kommen Sie«, sagte der Abt, »die Abendluft wird ihnen gut tun. Und danach gehen Sie früh zu Bett. Sofern es Ihnen nichts ausmacht, auf der Pritsche eines Toten zu schlafen.« Er blinzelte mir zu.
    »Was wollen Sie damit …« Aber er hatte sich bereits erhoben und ging mir voran.
    Es war kalt draußen. Wir gingen schweigend unter dem Pop-Art-Mond am schwarzen Himmel dahin. Er sah aus wie ein leuchtendes Loch, das man aus dem Innern einer riesigen Metallkugel sieht.
    »Ich kenne Etienne LeBecq«, sagte er.
    »Das habe ich mir fast gedacht.«
    »Er kommt schon seit vielen Jahren hin und wieder zu uns; ein ziemlich verschlossener Mann, aber ich habe in Augenblicken der Selbstbesinnung mit ihm gesprochen. Er hat einen so starken Glauben, daß er mir den Eindruck vermittelte, ein Schwächling zu sein. Wir haben über die Kirche gesprochen und welche Rolle sie spielt, und daß uns beiden Aufgaben zugewiesen wurden, mit denen wir nicht gerechnet haben. Er hat es nie erfahren, aber es war immer eine große Befriedigung für mich, wenn er meinen Glauben in Frage gestellt hat; sein Vertrauen in unsere Kirche war unerschütterlich, Mister Driskill. Aber irgendwo tief in seinem Innern verbarg er ein schreckliches Geheimnis. Er hat nie mit mir darüber gesprochen.« Einer der alten Hunde war uns hinaus in den Abend gefolgt; er schnüffelte im Sand einer kleinen Senke zwischen zwei Wanderdünen und begann an einer ganz bestimmten Stelle zu scharren. »Vor wenigen Monaten war er wieder hier, nur ein oder zwei Nächte – ich weiß es nicht mehr genau. Er kam und ging. Er stellte keine Fragen. Manchmal, so hatte ich den Eindruck, schien er sich vor sich

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