Assassini
nach Armut ad absurdum. Täler und Hügel erbrachten unter zisterziensischem Ackerbau reiche Ernte. Armut und Fleiß schienen unvereinbar.
Begonnen hatte die Reformbewegung mit Robert von Molesme, der im Jahre 1075 mit sieben anderen Brüdern das Kloster von St. Michele de Tonnere verließ und schließlich 1098 in Burgund das Kloster Citeaux gründete, das ›wahre Kloster‹, das unter Bernhard von Clairvaux zum Ausgangspunkt der Zisterzienser Kongregation wurde. Eine andere Gruppe von Mönchen schließlich wagte zu Beginn des zwölften Jahrhunderts die gefahrvolle Reise nach Afrika, hierher in die Einsamkeit der Wüste, wo der Boden keine Früchte hervorbrachte, wo nicht die Gefahr bestand, den Verlockungen der Macht und des Wohlstands zu erliegen. Sie erbauten dieses Kloster und nannten es St. Bernhard. Wann und warum es später in St. Christopherus umbenannt wurde, wußte der Abt nicht.
Hier, in Hitze und Einsamkeit und unvorstellbarer Armut, erblühte die wahre Askese. Fanatischer Eifer, Selbstzucht und eine fast beispiellose Verleugnung des Fleisches waren die Lebensregeln. Doch war dieses Leben von kurzer Dauer. Nur selten erreichte ein Mönch das Alter von dreißig Jahren. Die Verstorbenen wurden außerhalb des Klosters begraben; nur die Seelen der Toten – und Lebenden – durften sich innerhalb dieser Mauern bewegen. Das Fleisch galt nichts. Daher wurde auch nichts, was in der Welt draußen willkommen war, innerhalb dieser Mauern geduldet. Keine Wissenschaft, keine Literatur, keine Kunst. Keine Arbeit. Nichts. Nur das Nichts. Diese Mönche warteten in der Wüste auf das Ende der Welt und glaubten, daß nur durch ihre Gebete und die vollkommene Leere diese Welt vielleicht überdauern könnte.
»Am Ende – nach weniger als einem halben Jahrhundert, einer sehr kurzen Zeit, Mister Driskill – am Ende waren alle verschwunden, tot, und ihre Gebeine bleichten in der Sonne, von niemandem betrauert, von niemandem vermißt, unbemerkt von der Welt, und es gab keinen mehr, der über die Geschichte dieser Jahre hätte berichten können. Und so geriet das Kloster in Vergessenheit. Es vergingen Generationen, bis wieder ein Europäer seinen Fuß auf diesen Boden setzte und das Wenige fand, aus dem sich die Geschichte dieses Klosters bruchstückhaft rekonstruieren ließ.« Der Abt schlug nach einer Fliege. Bruder Timothy schien in der Ecke des Raums vor sich hin zu dösen. Der Abt hatte lange und ausführlich geredet, als wollte er die Gelegenheit nutzen, sich jemandem mitteilen zu können, der nicht aus der Welt innerhalb dieser Klostermauern kam. Momentan schien er an meiner Person und meiner Geschichte jegliches Interesse verloren zu haben.
»Nach diesen ersten fünfzig Jahren stand das Kloster leer«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Jahrhundertelang, konserviert durch Hitze und Trockenheit. Stellen Sie sich nur vor, Mister Driskill: Hunderte von Jahren waren diese Mauern ohne Gebete, ohne Mönche, ohne eine Spur menschlichen Lebens, nur den Elementen Gottes und dem Strom der Zeit ausgesetzt.« Er lächelte dünn, befeuchtete die Lippen, fuhr fort; der geborene Geschichtenerzähler, gefangen in einer Welt ohne Zuhörerschaft.
Schließlich kam das vergessene Kloster – ›des Teufels Kloster‹ oder ›das Inferno‹, wie es nach seiner Wiederentdeckung genannt wurde – unter die unmittelbare päpstliche Amtsgewalt. Es wurde als eine Art Verbannungsort für unbequeme Mönche oder Priester benutzt, weil aufgrund der Unzugänglichkeit dieses Klosters mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen war, daß die Ärmsten, sofern sie nicht schon auf dem Weg hierher ihr Leben ließen, nie mehr von hier zurückkamen. Einige dieser Männer – die wahren Eremiten, die sich der größten und härtesten Prüfung unterziehen wollten, die Befriedigung darin fanden, bis auf Gott allem zu entsagen – baten sogar darum, hierher geschickt zu werden oder machten sich einfach auf den Weg.
Allmählich verblaßten die Lichtbahnen, die durch die schmalen Fensteröffnungen fielen. Dunkelheit senkte sich herab; ich spürte bereits die ersten Vorboten der nächtlichen Kälte, die wie Bodennebel über die Wüstenlandschaft krochen. Der Abt war verstummt. Er betrachtete mich, als erwarte er irgendeine Reaktion.
»Und warum sind Sie selbst hierhergekommen?« fragte ich schließlich, nur um irgend etwas zu sagen.
Zuerst glaubte ich, er hätte mich gar nicht gehört, bis er sich nach vorn beugte, die Ellbogen auf den Tisch stützte und
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