Assassini
einen langen Weg hinter sich. Man sieht es in Ihrem Gesicht. Dem Aussehen Ihrer Verletzung nach zu urteilen, waren Sie das Opfer eines Mordversuchs. Und die Tatsache, daß Sie überhaupt hier sind, beweist mir, daß ich einen sehr entschlossenen Mann vor mir habe. Was suchen Sie im Kloster von St. Christopherus?«
»Einen Mann.«
»Das überrascht mich nicht. Nur ein Menschenjäger vermag solche Hindernisse zu überwinden, wie man sie Ihnen offensichtlich in den Weg gestellt hat. Wer ist dieser Mann? Und warum suchen Sie ihn?«
»Sein Name ist Etienne LeBecq. Angeblich hat er hier schon mehrmals Zuflucht gesucht. Vielleicht kennen Sie ihn nur dem Aussehen nach …«
»Falls ich ihn überhaupt kenne.«
Ich zog das Foto aus der Tasche und reichte es ihm. Auf seinem Gesicht war keinerlei Regung zu erkennen. Ich tippte mit dem Finger auf Guy LeBecq, in der Hoffnung, die Ähnlichkeit mit Etienne könne die Erinnerung des Abtes etwas auffrischen. Bruder Timothy kam mit einem Krug Wasser und einem Röhrchen Aspirin zurück. Ich schluckte vier Tabletten und spülte mit kaltem Wasser nach.
Der Abt starrte auf das Foto, auf LeBecqs Gesicht. Die einzigen Geräusche waren das Kratzen des Sandes, der gegen die Außenmauer geweht wurde, und der eigentümliche Gesang des Windes in der Wüste. Er lehnte sich im Stuhl zurück und blickte mich starr an. »Ich frage mich, wer Sie sind«, sagte er, ohne mich direkt zu fragen.
Er war so unnachgiebig und rauh wie die Landschaft hier draußen. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß er plötzlich der wichtigste Mann in meinem Leben war. An einem so gottverlassenen Ort wie diesem war ich ohne seine Unterstützung hilflos. Er wartete offensichtlich auf Erklärungen, also gab ich sie ihm, nannte ihm meinen Namen, den Grund für meinen Flug nach Ägypten, berichtete ihm von der Ermordung meiner Schwester, sagte ihm, daß sie LeBecq kurz vor ihrem gewaltsamen Tod gesprochen habe und daß LeBecq so ziemlich mein letzter Hoffnungsschimmer sei, die Fährte weiter verfolgen zu können.
»Dieser Mann hat also mit Ihrer Schwester gesprochen, bevor sie ermordet wurde.« Er schien einen belgischen Akzent zu haben, aber ich war mir nicht ganz sicher. Vielleicht war es auch ein französischer. »Was wollen Sie tun, falls Sie ihn finden?«
»Mit ihm reden.« Ich zuckte die Achseln, fühlte, wie seine ruhigen, kühlen Augen mich mit beinahe wissenschaftlichem Interesse musterten, als gäbe es nichts auf dieser Welt, das bedeutsam genug sein könnte, seine Aufmerksamkeit ernsthaft zu erregen.
»Können Sie mir helfen?«
»Darauf kann ich Ihnen nur schwerlich antworten, Mister Driskill. Mit Hilfe beschäftigen wir uns in diesem Kloster nicht. Hilfe und Hoffnung sind aus diesen Mauern verschwunden. Ich möchte Ihnen sagen, wer wir sind, Mister Driskill, möchte mit Ihnen reden, damit Sie wissen, auf was Sie hier in St. Christopherus gestoßen sind. Wir sind eine Art mönchische Fremdenlegion. Wir sind hier nur neunzehn Brüder, und wir werden dieses Kloster nicht mehr verlassen … nie mehr verlassen, bis auf ein paar andere Brüder, die hin und wieder kommen und gehen. Wir beten, wir warten auf den Tod, und Rom verschließt die Augen vor uns. Manchmal sucht jemand wie der von Ihnen erwähnte LeBecq in unseren Mauern Zuflucht, um sein Inneres vom Bösen zu reinigen. Wir alle hier haben dem Bösen in uns ins Antlitz geschaut. Viele von uns haben nicht mehr lange zu leben – manche Brüder sind unheilbar krank und haben sich entschlossen, ihre Krankheit nicht behandeln zu lassen – vielleicht aus Verzweiflung über den Zustand der Menschheit. Ich bin der Abt der Toten, Mister Driskill, und der Vergessenen.«
Das Kloster war im zwölften Jahrhundert von den Zisterziensern gegründet worden, erzählte er mir weiter, genauer gesagt von einem Bischof, der radikale Ansichten vertreten hatte und der Meinung gewesen war, daß die Absage der Zisterzienser den Cluniazensern gegenüber nicht deutlich genug gewesen sei. Denn die Mönche von Cluny hatten eine immer weltlichere Haltung eingenommen, hatten danach getrachtet, ihre politische und wirtschaftliche Macht zu erweitern, so daß die Zisterzienser sich schließlich entschlossen hatten, dieser Welt der Privilegien und des Reichtums zu entsagen. Ein Mönch, zumal ein Zisterzienser, war der asketischen Strenge, der Armut, der Zurückhaltung gegenüber der Welt verpflichtet, nicht dem Leben im Wohlstand. Aber ihr Credo – die Arbeit – führte ihr Streben
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