Assassini
ermöglichen, die für die Borgias von größter Bedeutung gewesen war: die Hochzeit Lucrezias mit Alfonso D’Este, dem Erben des Herzogtums Toskana. Das Bündnis kam auf diese Weise erfolgreich zustande, und am Vorabend von Allerheiligen des Jahres 1501 gab Cesare ein außergewöhnliches Abschiedsfest für seine Schwester Lucrezia.
»Welch eine Feier«, sagte der Kardinal mit geschlossenen Augen, als wäre er ein in Erinnerungen versunkener Teilnehmer. »Fünfzig nackte Kurtisanen tanzten im Saal und nahmen mit den Zähnen geröstete Kastanien vom Fußboden auf, während die Männer … nun ja. Alles in allem hatten die Dinge einen erfreulichen Verlauf genommen, außer natürlich für den Exgatten Lucrezias. Cesare hatte sich auf diese Weise die Ländereien der Colonna unter den Nagel gerissen, die Orsini in den Kerker werfen lassen und sich mit den D’Este, den Herzögen von Ferrara, verschwägert.« Er öffnete langsam die Augen. »Ein ernst zu nehmender Mann.«
Schwester Elizabeth dachte noch über die nackten Kurtisanen und die gerösteten Kastanien nach, als ihr der letzte Satz ins Bewußtsein drang.
Ein ernstzunehmender Mann …
»Der Priester, der Val getötet und versucht hat, Ben Driskill zu ermorden«, sagte sie und vergaß für einen Augenblick völlig ihre vorsichtige Zurückhaltung. »Der Mann mit dem silbernen Haar und der Brille …«
D’Ambrizzi, aus seinen eigenen Gedanken gerissen, bedachte sie mit einem nachsichtigen Blick. »Ja, Schwester?«
»Er hätte das richtige Alter. Siebzig, vielleicht älter, aber körperlich noch sehr gut in Form. Er ist einer von ihnen … Er hat schon immer zu ihnen gehört. Ich bin sicher, ich fühle es … was Badell-Fowler geschrieben hat, und die Geschichten über die Assassini während des Krieges – erkennen Sie es nicht auch? Es paßt alles zusammen … dieser Simon Verginius, den Badell-Fowler für ihren Führer hielt? Das ist dieser silberhaarige Priester! Er ist Simon Verginius! Und das ist noch nicht alles. Die sogenannte Pius-Verschwörung, die Badell-Fowler erwähnt? Sie wissen doch, was für ein Schurke Pius gewesen ist! All die Deutschen, mit denen er verkehrt hat, die schlechten Deutschen, die Nazis, um genauer zu sein … Es war Pius, der die Assassini während des Zweiten Weltkriegs eingesetzt hat. Wahrscheinlich sollten sie die Nazis bei der Plünderung von Kunstschätzen unterstützen, die Sie erwähnt haben, Eminenz! Es paßt doch alles zusammen, oder nicht? Diese Theorie ist es doch zumindest wert, daß man darüber nachdenkt, oder?«
Elizabeth lächelte die beiden Männer an. Sie hatte die Grenzen der Schicklichkeit, die sie sich selbst gesteckt hatte, weit überschritten. Aber es war ihr gleichgültig. D’Ambrizzi und Sandanato starrten erst sie an, dann einander, offenbar außerstande, eine passende Antwort zu finden.
Val wäre verdammt stolz auf dich gewesen, dachte Elizabeth bei sich.
Calixtus erwachte weit nach Mitternacht aus einem unruhigen Schlaf. Die Bettlaken waren feucht von seinem Schweiß, und er verspürte leichten Kopfschmerz. Wenn’s mehr nicht war – damit konnte er fertig werden, Gott sei Dank. Er betrachtete die silberne Scheibe des Mondes, die mitten im Fensterrahmen zu schweben schien, und ihm wurde die weiße, kalte Ferne dieses Himmelskörpers bewußt, seine vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber den flüchtigen Geschehnissen auf dieser Erde, gegenüber seiner, Calixtus’ Amtszeit, der Amtszeit aller Päpste, und er dachte einmal mehr an seinen Tod. Doch auch schon vor Ausbruch seiner unheilbaren Krankheit war der Tod Calixtus’ ständiger Begleiter in seinem Leben als Priester gewesen. Wie oft hatte er an Beisetzungen Geistlicher teilgenommen? Ungezählte Male.
Vor dreißig Jahren war er ein junger, ehrgeiziger Monsignore im vatikanischen Staatsministerium gewesen, im Epizentrum der politischen und religiösen Erschütterungen, die von der kirchlichen Macht ausgelöst wurden. Damals, 1958, war Pius XII. nach neunzehnjähriger Amtszeit gestorben. Oh, das war in der Tat ein kolossaler, erderschütternder Tod gewesen! In der Stille des Zimmers, das nur vom fahlen Mondlicht erhellt wurde, hörte Calixtus sein leises Lachen. Mein Gott, waren das Zeiten gewesen!
Pius war der letzte in der langen Reihe von Päpsten alter Art gewesen: Arrogant und selbstherrlich, hatte er verächtlich auf das ›gemeine Fußvolk‹ herabgeblickt. In den Augen Salvatore di Monas war dieser Mensch in moralischer Hinsicht
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