Assassini
verhärtet, auf gewisse Weise sogar moralisch bankrott und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit geisteskrank. Widerwärtig, wenn man sein Verhalten im Zweiten Weltkrieg bedachte. Und geisteskrank auch insofern, als Pius in seinen letzten Jahren immer wieder behauptet hatte, ›Visionen‹ gehabt zu haben.
Nachdem dieser alte Bastard das Zeitliche gesegnet hatte, hatte Monsignore di Mona, ein aufsteigender Stern innerhalb der Kurie, die makaberen Begleitumstände der Beisetzung dieses Papstes erlebt. Das hatte genügt, ihn davon zu überzeugen, daß man nie wissen konnte, wann genau man für seine Sünden bezahlen mußte. Was Pius betraf, wurde ihm die Rechnung schon sehr schnell präsentiert; ein paar Stunden, nachdem er seinen letzten Atemzug getan hatte.
Es war im Vatikan ein offenes Geheimnis, daß Pius seine natürliche Lebensspanne zu verlängern suchte, indem er die Dienste des Schweizer Gerontologen Dr. Paul Niehans in Anspruch nahm -eines Protestanten, bei allen Heiligen! –, der auch König George V., Konrad Adenauer und Winston Churchill zu seinen Patienten zählte. Sie alle wurden von Niehans einer Frischzellentherapie unterzogen und bekamen unter anderem Spritzen verabreicht, die das sorgfältig pürierte, nahezu verflüssigte Gewebe ungeborener Lämmer enthielten. Als Pius dessenungeachtet im Spätsommer 1958 in Castel Gandolfo seine letzten Stunden verbrachte, hatten die Jesuiten es auf wundersame Weise bewerkstelligt, daß man den Todeskampf eines Papstes – normalerweise ein strengstens gehütetes Geheimnis der Kurie – live über Radio Vatikan miterleben konnte, einschließlich der Gebete, die am Bett des Dahinscheidenden gesprochen wurden. Auch Monsignore di Mona hatte an jenem denkwürdigen Abend der Übertragung gelauscht, da der gesamte Betrieb in der Vatikanstadt in Erwartung des Todes seines Oberhaupts ohnehin zum Erliegen gekommen war. Sal und drei befreundete Priester hatten damals einen Jackpot eröffnet, den derjenige bekommen sollte, der mit seiner Schätzung, was den Zeitpunkt des Ablebens Pius’ betraf, am besten lag. Um vier Uhr früh am Morgen des 9. Oktober verabschiedete Pius sich von dieser Welt. Sal di Mona hatte den Jackpot zwar nicht bekommen, doch die Tatsache, daß Pius endlich den Geist aufgegeben hatte, war ihm sehr viel mehr wert.
Und dann öffnete das Theater des Absurden die Vorhänge.
Der Leichnam des verstorbenen Pontifex wurde in Castel Gandolfo von Galeazzi Lisi, dem einstigen Leibarzt Pius’, sowie von einem Fachmann namens Oreste Nuzzi einbalsamiert. Dann wurde die sterbliche Hülle in einem städtischen Leichenwagen nach Rom überführt, den man allerdings angemessen auszustaffieren versucht hatte: Auf dem Dach waren vier vergoldete Engel befestigt, Girlanden aus weißem Damast flatterten hinter dem Kastenwagen her wie die Schleppe einer Braut im Sturmwind, und eine wacklige, ebenso schäbige wie geschmacklose hölzerne Nachbildung der päpstlichen Tiara krönte das Fahrerhaus und drohte bei jedem Schlagloch vom Dach zu stürzen.
Monsignore di Mona wartete bereits an der Lateranbasilika, als das seltsame Gefährt anrollte. Er und ein gleichgesinnter Freund wußten nicht, ob sie weinen oder lachen sollten. Und dann vernahmen sie plötzlich ein Geräusch, das sich wie ein Pistolenschuß anhörte. Sal di Monas erster Gedanke war: die Assassini Er wollte ihnen zurufen: Ihr seid zu spät gekommen, ihr Schwachköpfe! Der Alte ist schon hinüber! Doch es erwies sich, daß der vermeintliche Pistolenschuß gar keiner gewesen war. Irgend etwas im Innern des Leichenwagens war schiefgegangen. Im Innern des Sarges.
Die Bediensteten des Laterans brachen daraufhin in hektische Betriebsamkeit aus. Der Leichenwagen raste mit schwankenden Engeln und wippender Tiara durch die Straßen Roms in die Vatikanstadt, wo der Sarg dann schleunigst in den Petersdom verfrachtet wurde. Als Monsignore di Mona, als offizieller Vertreter des vatikanischen Ministeriums, schließlich dort anlangte und sah, was passiert war, schüttelte er verwundert den Kopf und zog sich rasch wieder zurück. Da es an diesem Tag ungewöhnlich warm für die Jahreszeit war, hatte Pius XII. anscheinend zu gären angefangen, und dabei hatten sich Gase gebildet, die einen solchen Druck erzeugten, daß der Sargdeckel buchstäblich weggesprengt worden war. Die Balsamierer Lisi und Nuzzi mußten sich also wohl oder übel wieder an die Arbeit machen und legten eine Nachtschicht ein, um das Objekt ihrer Bemühungen
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