Assassini
soweit wieder herzurichten, daß man es der Öffentlichkeit präsentieren konnte, ohne eine Welle von Ohnmachtsanfällen auszulösen. Am 12. Oktober um sieben Uhr morgens war der Verblichene wieder soweit präpariert, daß die Trauerprozession an seinem geöffneten Sarg vorbeidefilieren konnte. Doch wie sich herausstellte, fingen die Probleme jetzt erst richtig an.
Je weiter der Tag fortschritt – die Besucherscharen strömten an dem Dahingeschiedenen vorbei, Kerzen flackerten, und die Überreste Pius’ waren gnädigerweise umhüllt von einem roten Kasel; auf dem Haupt trug er eine goldene Mitra – begann der Ärger von neuem. Es war heiß im Petersdom. Zu heiß. Die Totenblässe auf dem Gesicht des Verstorbenen verwandelte sich in ein Giftgrün. Und jeder, der am Sarg vorbeischritt, nahm den ekelhaften Geruch wahr, den der Körper ausströmte. Jetzt endlich zeigt er sein wahres Gesicht, dachte di Mona bei sich.
Schließlich siegte der gesunde Menschenverstand. Man legte den Deckel auf, schob den hölzernen Sarg in einen aus Blei gegossenen und ließ das Ganze in einer Gruft in den Grotten neben St. Peter verschwinden.
Die Gründe, die später für diese katastrophalen Vorfälle angeführt wurden, waren verblüffend, gelinde gesagt, und stützten sich weitgehend auf die Aussage Lisis, daß er und Nuzzi veraltete Methoden der Einbalsamierung angewandt, also auf Injektionen, Chemikalien und Organentnahme – die übrigens bereits im Frühchristentum gang und gäbe war und also bei diesem heiligen Mann nun wirklich angemessen gewesen wäre – verzichtet hätten. Lisi verkaufte seine Geschichte vom dramatischen päpstlichen Todeskampf jedenfalls für gutes Geld an Illustrierte aus aller Welt, woraufhin die Kardinäle, die während der Interimszeit bis zur Wahl des neuen Papstes die Geschicke der Kirche leiteten, ihm ›für alle Zeiten‹ untersagten, jemals wieder den Fuß auf den geheiligten Boden des Vatikans zu setzen. Auf jede nur erdenkliche Weise war Pius’ Ende schmutzig und schmachvoll gewesen.
Und somit ein verdientes Ende – sowohl damals, in Monsignore Sal di Monas Augen, als auch heute, in den Augen Calixtus’ IV. Die vielen Jahre, die seither verstrichen waren, hatten seine Meinung nicht ändern können. Er lächelte bei dem Gedanken an die tragikomischen Geschehnisse in diesem längst vergangenen Oktober einerseits und der Erinnerung an die Freundschaften andererseits, die er im Krieg, im besetzten Paris, geschlossen hatte, als ihm bewußt geworden war, was für ein Monstrum in Gestalt Pius’ auf dem Papstthron saß.
Paris. Schon der Name dieser Stadt ließ Erinnerungen aufkeimen, ließ die vertrauten Gesichter alter Freunde vor seinem geistigen Auge erscheinen, ließ ihn an Dinge denken, die es wert gewesen waren, sein Leben dafür zu lassen, alles dafür zu geben …
Calixtus rieb sich den Nacken, massierte die pochende, schmerzende Stelle und stieg langsam aus dem Bett. Die Wirkung der letzten Schmerztablette ließ allmählich nach. Dr. Cassoni hatte ihm erklärt, die Wirkung der Substanz sei im wesentlichen mit der von Heroin zu vergleichen, und Calixtus hatte erwidert, er solle in Zukunft sämtliche Informationen dieser Art für sich behalten. Aber D’Ambrizzi hatte recht behalten: Cassoni verstand sein Handwerk.
Calixtus streifte einen dunkelblauen Morgenmantel über seinen scharlachroten Schlafanzug und schlüpfte in die englischen Samtpantoffeln. Er spülte mit einem Schluck lauwarmem Wasser eine weitere Schmerztablette hinunter und zündete sich eine Zigarette an. Der kühle Abendwind sog den Rauch hinter die Vorhänge und durchs spaltweit geöffnete Fenster. Er drückte auf eine Taste des Kassettenrecorders, und Madame Butterfly erklang.
Er nahm seinen Gehstock, verließ das Schlafzimmer, nickte dem im Wohnzimmer wachenden Krankenpfleger zu, der im schummrigen Licht einer Tischlampe in einem Buch blätterte, und trat hinaus auf den Flur. Das rhythmische Klicken der Gehstockspitze auf dem marmornen Fußboden hörte sich wie ein Metronom an. Seit die Mordaffäre sich verschärft und die Spannungen in der Vatikanstadt einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatten, seit er Indelicato und D’Ambrizzi die Marschbefehle erteilt hatte, durchstreifte Calixtus die endlosen Korridore seines riesigen Wohnsitzes fast nur noch in den frühen Morgenstunden, als könnten die Stille der Nacht und die Garde, wie er die Nachtschicht bezeichnete, ihm ein Gefühl der Beruhigung vermitteln. Wenn er
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