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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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machte einen Buckel. Ihr Umfang war geradezu furchteinflößend. »Balzac erledigt das für mich. Er pinkelt an den Baum. Zweimal täglich, und er gedeiht wirklich prächtig. Vor lauter Angst.« Er seufzte, und ich bestellte mir ein Elsässer Bier.
    »War der Vikar heute schon hier? Eigentlich wollte ich ihn überraschen.« Es donnerte, und Balzac legte den Kopf schief. Claude stellte das Glas vor mich hin.
    »O je«, seufzte er. »O je, o je, o je.« Er blickte zur anderen Seite des Tresens hinüber, zu dem Mann mit dem Maulwurfsgesicht, und nickte ihm zu. »Clive, komm doch mal her. Das hier ist Ben Driskill. Du hast ja oft genug gehört, wenn der Vikar von ihm erzählt hat.«
    Der Mann kam zu mir herüber. Er humpelte und benutzte einen Gehstock. Er streckte die Hand aus. Ich schüttelte sie. »Clive Paternoster, zu Ihren Diensten. Robbie war sehr niedergeschlagen, als er die traurige Nachricht vom Tod ihrer Schwester bekam. Ich glaube, Sie können sich vorstellen, wie er reagiert hat. Er hat sich diesen Sommer ein paarmal mit ihr getroffen, wie Sie sicher wissen. Bei dieser Gelegenheit habe ich sie auch kennengelernt. Ach ja, der gute alte Vikar …«
    »Wo steckt er?« fragte ich. »Erzählen Sie bloß nicht, er arbeitet.« Ich lächelte, aber die beiden lächelten nicht zurück.
    »Sie kommen drei Tage zu spät, mein Freund«, sagte Clive Paternoster, und er blinzelte. »Der Vikar ist nicht mehr, Mister Driskill. Dabei war er noch so gut beieinander. Hatte zwar siebzig Jahre auf dem Buckel, aber er war noch sehr rüstig. Ich selbst bin auch schon dreiundsechzig.« Er schob die schwere Brille auf seiner riesigen Nase gerade. »Der Vikar ist tot, Mister Driskill, in der Blüte seiner Jahre dahingerafft.«
    »Tut mir leid, das zu hören«, sagte ich und konnte mein Entsetzen nicht verbergen. »Er war ein feiner Kerl.« Und ich dachte: Er hat sich mit Val getroffen! Aber warum? Worüber haben die beiden geredet? War es von Bedeutung? Er war während des Krieges in Paris gewesen … »Woran ist er gestorben?«
    »Oh, es ging schnell«, sagte Claude bitter und streichelte die Katze. »Er hat nicht lange leiden müssen.« Er warf Paternoster einen traurigen Blick zu.
    »Nun, das meinte ich ja … ganz plötzlich vom Tod dahingerafft.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Sie kennen das aus Ihrer Heimat. Gewalt auf den Straßen«, sagte Clive Paternoster leise. »Jemand hat ihn erstochen.« Er warf einen Blick auf seine schwarze Digitaluhr. »Wenn Sie Zeit haben, kommen Sie mit zum Begräbnis. In einer Stunde haben wir den Vikar schon unter die Erde gebracht.«
    Robbie Heywood wurde auf einem kleinen, abgelegenen Friedhof in einem tristen Viertel der Stadt beigesetzt, unweit eines Knotenpunkts mehrerer Eisenbahnlinien. Der Sarg war schlicht, der Priester nicht sonderlich bei der Sache und außerdem erkältet und das Erdloch dunkel und matschig. Der Kiesweg war braun und naß, das Gras zu kurz geschnitten und so braun und naß wie der Kies. Wir waren sechs Trauergäste; niemand weinte oder rang vor Kummer die Hände. Der Pfad, der zum Grab führte, war links und rechts von immergrünen Bäumchen gesäumt; die perfekte Symmetrie erschien sehr pariserisch. In dieser Umgebung also trat der Vikar seinen letzten Weg an, und das zeigte einmal mehr, daß nur die Lebenden zählten, nicht die Sterbenden.
    Als wir das Friedhofsgelände verlassen hatten, zündete Clive Paternoster sich eine Gauloise an und schob die Hände tief in die Taschen seines schwarzen Regenmantels. »Robbie und ich waren in den letzten fünf, sechs Jahren Zimmergenossen«, sagte er. »Die Leute nannten uns das ›seltsame Pärchen‹, wissen Sie, aber wir kamen prima miteinander aus. Zwei alte Knacker, gemeinsam unterwegs auf dem letzten Abschnitt des Lebensweges – ich habe Sie vorhin belogen, ehrlich gesagt, ich bin selbst fast siebzig –, zwei alte Knacker, die gern daran zurückdachten, wie es gewesen ist, als man noch jung und voller Saft und Kraft war. Ich kann’s noch gar nicht glauben, daß Robbie nicht mehr da ist. Uns beide hat viel mehr verbunden als gemeinsam erlebte Kriege, Morde, Skandale, Regierungen … Mein kaputtes Bein ist ein kleines Andenken aus dem Koreakrieg. Hab’s einem schlitzäugigen Scharfschützen zu verdanken.« Er nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette. »Aber man könnte sagen, daß es hauptsächlich die Kirche gewesen ist, die dafür gesorgt hat, daß unsere Wege sich kreuzten. Interessanter Mechanismus, die Kirche.

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