Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
Vom Netzwerk:
vertrauten Umgebung. Ich konnte jetzt sogar an den Tod meiner Mutter und den meiner Schwester denken, ohne daß mich gleich das nackte Entsetzen packte. An der Place Maubert überquerte ich den Boulevard Saint-Germain, der, wie ich von Robbie Heywood erfahren hatte, eine unerquickliche Vergangenheit aufweisen konnte, weil hier die öffentlichen Hinrichtungen stattgefunden hatten. 1546 zum Beispiel, während der Regierungszeit Franz’ I, war auf der Place Maubert der humanistische Philosoph und Publizist Etienne Dolet als Ketzer den Flammentod auf dem Scheiterhaufen gestorben. Die Henkersknechte hatten Dolets Bücher als Anzünder benützt. Das Johlen und Kreischen des Pöbels, berauscht vom gros rouge, müssen das letzte gewesen sein, was Dolet gehört hatte.
    Ich ging die Rue Monge hinunter, bog dann nach rechts in die Rue du Cardinal Lemoine ab und folgte ihr bis zur Place de la Contrescarpe. Hier, zwischen den Häusern, wehte kaum Wind, und die feuchten braunen Blätter klebten wie kleine Fußabdrücke auf dem nassen Gehsteig. Die mächtige Kuppel des Pantheon schien über der Stadt zu schweben wie eine Erscheinung. Ich war ein wenig außer Atem, als ich vor dem Haus anlangte, in dem Robbie wohnte. Ich blickte hinauf zu den Fenstern seiner Wohnung im ersten Stock. Die Läden waren geschlossen; der Regen, der vom Dachvorsprung strömte, lief daran herunter. Der Contrescarpe wirkte wie die Kulisse zu einem Film mit Jean Gabin. Auf dem Platz gab es eine kleine Rasenfläche mit einigen Bäumen. Sie sahen erbarmungswürdig aus, triefend vor Nässe und ohne Laub. Auf die Clochards hatte speziell dieser Platz schon seit Jahrhunderten eine besondere Anziehungskraft ausgeübt. Sie hatten sich, gekleidet in dicke Strickjacken und Regenmäntel, unter den Bäumen zusammengedrängt. Zwei besaßen Regenschirme, die wie helle, nasse, glatte Kiesel glänzten. Ein paar andere kauerten unter einem Wetterschutz, den sie aus weggeworfenen Kisten errichtet hatten.
    Auch das Tabbycats gab es noch immer: eine Bar und ein Café mit Blick auf den Platz und einer Markise in verblaßtem Grün und Weiß, auf deren Segeltuchstoff sich das Regenwasser in großen Pfützen sammelte. Ich wagte zu bezweifeln, daß die Markise noch bis zum nächsten Sommer durchhielt. Der einst weiße Außenanstrich des Gebäudes sah schlimm aus und hatte an einigen Stellen Blasen geworfen, die zerplatzt waren, so daß der graue Putz darunter zum Vorschein kam. Ich überquerte den Platz, begleitet von den neugierigen Blicken der Clochards, und betrat die schäbige alte Kneipe, die der Vikar als eine Art Büro benützte.
    Eine große getigerte Katze lag in vornehmer Überheblichkeit am Ende des blankgewienerten Tresens; sie blinzelte mit den Augen und starrte mich an; der Schwanz schwang langsam hin und her wie das Pendel einer Standuhr. Entweder war es noch dieselbe Katze, die schon immer hier gewesen war, oder es handelte sich um einen identischen Nachfolger. Das Tier schien jedenfalls nicht zu altern. Claude stand hinter dem Tresen und redete mit einem fast glatzköpfigen Mann mit rundem Kopf und einer riesigen Nase, welche die gesamte obere Hälfte seines Schädels zu beanspruchen schien, wie bei einem Maulwurf. Eine Brille mit schwarzer Fassung hing bedrohlich schief auf diesem viel zu breiten Ungetüm. Der Mann trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Der Barkeeper war unverkennbar immer noch der gute alte Claude, nur Bart und Haar waren grau geworden. »Es ist zwar eine Spelunke«, hatte Robbie mir gesagt, als ich ihn zum erstenmal ins Tabbycats begleitet hatte, »aber es ist mein Büro. Claude, der Barmann, ist Australier, darum kann ich ihm vertrauen. Er ist kein verdammter Franzmann. Es ist die Müllkippe eines ehrlichen Mannes, Euer Gnaden, die einzige in dieser Stadt, die diesen Namen wirklich verdient.«
    Claude kam vom anderen Ende des Tresens zu mir herüber; die Katze schlich an seiner Seite, verhielt dann und fauchte mich an. »Mister Driskill«, sagte Claude, »es ist lange her, Sir.«
    »Fast zehn Jahre«, sagte ich. »Sie haben ein gutes Gedächtnis. Aber die Katze scheint sich nicht an mich zu erinnern.«
    »Oh, Sie haben Balzac noch gar nicht kennengelernt. Er ist erst im sechsten Lebensjahr. Und ein räudiger Bastard. Eigentlich hat er bei mir nur einen einzigen Job. Er bewässert den Bananenbaum da vorn an der Tür.« Die alte Katze war also den Weg allen Fleisches gegangen; diese hier war neueren Datums. Sie

Weitere Kostenlose Bücher