Assassini
es ein reiner Zufall. An einer Straßenecke erstochen. So was soll ja vorkommen.«
»Unsinn.« Indelicatos Gesicht zeigte Unmut. »Die Kirche wird angegriffen, und Heywood war ein Opfer. Das ist offensichtlich.«
»Alles führt wieder zurück nach Paris«, flüsterte Calixtus. Er drehte den Dolch langsam in den Händen. »Und wo hält sich unser Freund Ben Driskill momentan auf? Und wie geht es seinem Vater?«
»Sein Vater ist auf dem Wege der Besserung. Es ist aber ein langwieriger Prozeß. Und was Ben Driskill betrifft: Es sieht so aus, als hätten wir seine Spur verloren. Er ist nach Paris geflogen. Normalerweise ist er immer im George V. abgestiegen, aber … nun, dort ist er nicht. Er ist irgendwo in Paris. Es sei denn, er hat die Stadt schon wieder verlassen.« Er wandte sich an den bleichen, hageren Kardinal, der regungslos mit übereinandergeschlagenen Beinen dasaß. »Fredi, Fredi, Sie sind so still. Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn Sie so still sind.«
Indelicato lehnte sich zurück, legte die Hände vor die Brust und tippte die Fingerspitzen aneinander. »Ich erbebe in Ehrfurcht angesichts Ihrer Quellen. Der gute Monsignore dort« – er wies mit einer Kopfbewegung auf Sandanato –, »ist er für diese erstaunliche Informationsflut verantwortlich?«
»Diesmal nicht. Der arme Pietro ist ohnehin völlig überarbeitet. Nein, ich habe einfach meine Privatarmee von der Leine gelassen – oh, nun schauen Sie nicht so besorgt drein, Fredi. War doch nur ein Scherz. Ich habe meine Fühler ausgestreckt, einige Fragen gestellt …«
»Der silberhaarige Priester«, sagte Calixtus plötzlich. »Wer ist dieser Mann?«
D’Ambrizzi schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
»Ihr Informantennetz versetzt mich immer wieder in Erstaunen«, sagte Indelicato, an D’Ambrizzi gewandt. »Aber, sagen Sie, wo ist Driskill?«
»Sie sind ein Könner auf dem Gebiet der Observierung«, konterte D’Ambrizzi. »Vielleicht haben Sie zuviel Zeit damit verschwendet, mich beobachten zu lassen, Fredi.« Er lachte tief grollend in der mächtigen Brust.
Indelicato lächelte schief. »Offensichtlich nicht gut genug.«
Calixtus ignorierte die Sticheleien der beiden alten Rivalen. Er sagte: »Also haben wir neun Morde – und einen Selbstmord?«
»Nun, wer weiß, Heiligkeit?« sagte Indelicato. »Es ist eine Schreckensherrschaft. Niemand kann sagen, wie viele es gibt … und wie viele es noch geben wird.«
Plötzlich erhob sich Calixtus; er krümmte sich wie in Krämpfen, rang nach Atem und tastete Halt suchend durch die Luft; sein Mund verzerrte sich, und weißer Schaum trat auf seine blutleeren Lippen. Ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte er mit dem Oberkörper auf den Tisch.
Jean-Pierre, der Mann, den August Horstmann in dem kleinen Dorf an der französisch-spanischen Grenze aufgesucht hatte, trug eine lange schwarze Soutane, die am Saum ein bißchen ausgefranst war, sowie den alten flachkronigen Hut mit breiter Krempe, der für Geistliche aus ländlichen, bäuerlichen Gegenden typisch war. Er trug sein Mittagessen in einer braunen Papiertüte mit sich, die oft zusammengefaltet, wieder geglättet und fleckig von Fett geworden war. Im Zug hatte ihm niemand besondere Beachtung geschenkt, mit Ausnahme eines kleinen Mädchens mit blonden Zöpfen, das ihm mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen ins Gesicht geblickt hatte, in die leere, dunkle Augenhöhle rechts, vor der Jean-Pierre keine Klappe trug, und in das linke Auge, das von so intensivem, strahlendem Blau war wie die Augen des Mädchens. Er hatte ihr ein Lächeln geschenkt, doch sie hatte ihn nur angestarrt und am Daumen gelutscht, und er hatte den Wunsch gehabt, aus dem Zug steigen zu können, bevor er Rom erreichte. Aber das konnte er nicht. Natürlich nicht.
Als er um die Mittagszeit in Rom aus dem Zug stieg, war es heiß und schwül. Zu heiß für die Jahreszeit. Er schwitzte in seiner dicken Unterwäsche. Er hatte sich in mehr als vierzig Jahren an das kühlere Klima der rauhen, stürmischen, ländlichen Gegend an der Atlantikküste gewöhnt, wo sein Dorf lag, an die Berge und die Bäche und den ruhigen, stillen Tagesablauf, der von immer der gleichen Arbeit bestimmt war.
Und nun stand er draußen vor dem Bahnhof in dem sich drängelnden, schubsenden Durcheinander aus Touristen und Einheimischen und fühlte sich unsicher, unbehaglich. Er fragte sich flüchtig, ob er seine kleine ländliche Kirche jemals wiedersehen würde. Und würde er
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