Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
Vom Netzwerk:
Unterschied zwischen Nonne und Frau auf ein Minimum reduziert. Und dann hatte sie mir weh getan.
    Weh getan. Das war der andere Grund, der schwerwiegendere, der die ganze Grübelei über Elizabeth so sinnlos machte. Ich hatte meine Schwester geliebt, und die Kirche hatte sie getötet. Hätte ich mich nicht dagegen gesperrt, mich in Elizabeth zu verlieben, hätte die Kirche auch sie getötet. Irgendwie, irgendwann, irgendwo. Dann wäre ein weiterer Unschuldiger gestorben. Ich wußte es.
    Natürlich hätte sie mich für verrückt erklärt, hätte sie gewußt, daß ich in solch weltlichen Kategorien dachte. Schließlich war sie Nonne, wie sie ja zur Genüge bewiesen hatte. Sie hatte mein Vertrauen enttäuscht.
    Ich fuhr durch einen plötzlich einsetzenden Sturm; Regen peitschte mir aus dem dichten Nebel entgegen. Ich spürte die nasse Kälte des Atlantiks durch die Türritzen dringen; der Wagen wurde durchgeschüttelt, und dann sah ich die ersten, niedrigen, bienenstockartig errichteten Mönchszellen auftauchen, tausend Jahre alt, und die verfallenen Ruinen steinerner Mauern und die Umrisse eines riesigen, grauen, bemoosten Gebäudes auf den Klippen …
    Das Kloster St. Sixtus.
    Ich hatte über solche Bauwerke schon gelesen, aber noch nie eines gesehen. Ich hatte überhaupt noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Es schien mir, als wäre ich plötzlich um Jahrhunderte zurückversetzt, bis in die graue Vorzeit des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts, als St. Finian seinen Mönchen eine derart strenge Askese zur Ordensregel gemacht hatte, daß sie der Atmosphäre der Trostlosigkeit und Verlassenheit entsprach, die von der kargen, von Felsbrocken übersäten Küstenlinie und den schroffen Klippen ausging – es war eine archaische Landschaft, die sich vor mir ausbreitete. St. Sixtus war in der Tat ein Kloster, das wie ein riesiger Bienenstock wirkte, eine Schöpfung, die dieser irischen Küstenlandschaft naturhaft verbunden war, ihr Wesen widerspiegelte, die Kraft des unaufhörlich anbrandenden, wütenden, gischtenden, donnernden Meeres. Die untersten Zellen, errichtet aus mörtellos aufgetürmten Steinbrocken, wirkten geradezu verloren angesichts der Urgewalt der See und der hohen, gezackten Klippen; sie waren offensichtlich der Grundstock für die jüngeren, bewohnten Gebäudeteile im Innern des Klosters, in verschiedenen Bauphasen errichtet, die sich wahrscheinlich über mehr als ein Jahrtausend erstreckt hatten.
    St. Finian und seine Nachfolger hatten ihren Mönchen eine fast unmenschlich harte, entsagungsvolle Askese auferlegt; Sie mußten mit einem Minimum an Schlaf und Nahrung bei härtester Arbeit überleben, sich schrecklichen Spielarten der Selbstzüchtigung unterwerfen und endlos lange Messen erdulden. Den Mönchen war untersagt, bei der Bestellung des harten, felsigen Bodens die Hilfe von Tieren – Maultieren, Pferden oder Ochsen – in Anspruch zu nehmen. Statt dessen spannten sich die Mönche zum Beispiel beim Pflügen selbst ins Geschirr. Die Askese war die allbeherrschende Ordensregel, ob ein Mönch nun ein Leben als Einsiedler wählte oder das Gelübde ablegte, auf ewige Wanderschaft zu gehen. Dies alles war Ausdruck beispielloser irischer Härte und Duldsamkeit. Nie zuvor in der Geschichte christlicher geistiger Orden hatte es eine derart tiefe Selbstverleugnung gegeben.
    In diesem Zusammenhang hatte mich schon immer ganz besonders St. Columban fasziniert. Sein Pönitenzbuch – das Verzeichnis der Bußübungen auch für die kleinste fleischliche Versündigung -gehörte zu jenen Dingen, die einen Betrachter in Erstaunen versetzten, was die Heiligen im allgemeinen und Columban im besonderen betraf. Seine Gedanken über die Sodomie und die Masturbation trieben ihn paradoxerweise zum Sadismus. Eine Abbildung aus seinem Bußbuch war mir seit jenem Augenblick, da ich es als Seminarist betrachtet hatte, bis heute in Erinnerung geblieben: ein nackter Mönch, der allein im aufgewühlten Meer stand; nur der Kopf schaute aus dem Wasser. Es war ein Küstenstreifen ähnlich diesem hier, einsam, rauh und unwirtlich, und der Mönch verharrte Tag und Nacht auf dem Fleck und sang Psalmen, bis seine Stimme brach, bis sein Blut gefroren war und seine Glieder taub, bis er den Kampf aufgab, unter Wasser glitt und ertrank … wofür? Gab es dafür irgendeine Erklärung? Lag es einfach daran, daß sie allesamt verrückt gewesen waren und mit ihrem Wahn nichts besseres anzufangen wußten? Manchmal fiel ihnen ein Feind der

Weitere Kostenlose Bücher