Assassini
hatte sich Calixtus’ Zustand so verschlechtert, daß man kein Risiko mehr eingehen durfte.
Der Gewichtsverlust des Papstes zeigte sich bereits deutlich im Gesicht, in das sich neue, tiefe Kummerfalten eingegraben hatten, die ihm fast das Aussehen eines traurigen Clowns verliehen. Sein Gesicht, in aller Welt so gut bekannt, verfiel, alterte – unwiderruflich. Zur Abwechslung trug er heute seine Kontaktlinsen, und eine davon bereitete ihm Schwierigkeiten. Er zog immer wieder das Augenlid ein Stück vor und entschuldigte sich bei seinen Gästen. Schließlich gab er es auf, ließ sich in den Sessel zurücksinken und spielte mit dem florentinischen Dolch herum, den er nun fast ständig bei sich trug, ohne sich dessen so recht bewußt zu sein.
»Also« sagte er, »an die Arbeit. Ich wünsche einen Zwischenbericht.« Er brauchte diese Aufgabe nicht näher zu umreißen. Er interessierte sich jetzt nur noch für eine einzige Sache.
Kardinal D’Ambrizzi ließ sich von Sandanato eine Aktenmappe reichen. Das Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster fiel, ließ den dunkel gekleideten Monsignore noch düsterer erscheinen, unterstrich die Hohlwangigkeit seines Gesichts, die tiefen Augenhöhlen. Er schien noch angespannter und nervöser zu sein als üblich. Die Hände des Papstes zitterten, bis er sie auf den Tisch legte, den Dolch, von seinen Besuchern stirnrunzelnd betrachtet, noch immer in der Rechten. Auch D’Ambrizzi sah müde und alt aus, wie ein Mann, der hinter seinen großen, vorstehenden Froschaugen zu viele häßliche Geheimnisse verbirgt. Angst und Unruhe erfüllten das Zimmer wie ein giftiges Gas.
»Wir haben die letzten Wochen in Schwester Valentines Leben zurückverfolgt, Heiligkeit«, sagte D’Ambrizzi. »Wo sie gewesen ist, was sie möglicherweise getan hat. Wir haben versucht, die Ereignisse so zu ordnen, daß sie uns vielleicht zu ihrem Mörder führen. Wir haben festgestellt, daß Ben Driskill die Reiseroute seiner Schwester nachvollzieht, um ihren Mörder ausfindig zu machen. Vor ungefähr einer Woche ist er in Alexandria gewesen. Während seines dortigen Aufenthalts hat er sich mit unserem alten Freund Klaus Richter getroffen …«
»Sie scherzen«, sagte der Papst abrupt. »Richter? Unser Richter? Aus den alten Zeiten? Sie haben mir gesagt, daß er derjenige gewesen sei, der Ihnen Angst eingejagt hat!«
»So ist es, Heiligkeit. Er hat mir Angst eingejagt, das kann ich Ihnen versichern.«
»Ihre Offenheit ehrt Sie, Giacomo«, murmelte Indelicato.
»Und«, fuhr D’Ambrizzi fort, »er hat sich mit einem weiteren Mann getroffen, der daraufhin Selbstmord verübt hat.«
»Wer?«
»Etienne LeBecq, Heiligkeit. Ein Kunsthändler.«
Calixtus’ Augen weiteten sich; er spürte, wie eine Woge Adrenalin in seine Adern schoß. Sein Herz begann unregelmäßig zu schlagen. Er dachte bei sich: LeBecq, der Bruder von Pere Guy, der mich in meinen Träumen verfolgt: Jetzt, vierzig Jahre später, sind beide tot; alle Sünden fallen auf die zurück, die sie begangen haben. Ist es das? Wir alle waren tief in die Pius-Verschwörung verwickelt. Hat uns das allesamt zu Sündern gemacht, denen jetzt, nach so langer Zeit, die Rechnung präsentiert wird?
D’Ambrizzi blätterte in der Aktenmappe und fuhr fort: »Uns ist außerdem ein Bericht aus Paris übersandt worden, daß ein Journalist, ein alter Herr namens Heywood …«
»Robbie Heywood«, unterbrach Calixtus ihn leise. »Sie können sich doch an ihn erinnern, Giacomo? Trug immer schrecklich grelle Jacken. Er war eine fürchterliche Quasselstrippe, und er konnte jeden unter den Tisch trinken. Gott, ja, ich kann mich gut an ihn erinnern … nun, was ist mit ihm?«
»Er ist tot, Heiligkeit«, sagte D’Ambrizzi. »Von einem Unbekannten ermordet. Die Behörden haben natürlich noch keinerlei Hinweise.«
Calixtus versuchte sich zu erinnern, wann er Heywood zum letzten Mal getroffen hatte. »Aber was hatte er mit dieser schmutzigen Geschichte zu tun?«
»Schwester Valentine hat ihn in Paris besucht, im Rahmen ihrer Nachforschungen. Und jetzt, kurze Zeit später, wurde er ermordet. Vielleicht gibt es eine Verbindung …«
»Sie werden sicher Besseres zu tun haben, als wilde Vermutungen anzustellen, Giacomo«, sagte Indelicato. Seine Stimme klang mechanisch, unbeteiligt. »Ich werde jemanden nach Paris schicken, der dieser Sache nachgeht.«
»Dann wünsche ich diesem Jemand viel Glück«, sagte D’Ambrizzi zweideutig und zuckte betont die Achseln. »Vielleicht war
Weitere Kostenlose Bücher