Assassini
Lang aufgestaute Wut und Schmerz trieben mich voran. Wäre ich in diesen Minuten dem schwarzgewandeten Schreckgespenst aus meinen Alpträumen begegnet, hätte ich es mit bloßen Händen in Stücke gerissen, ungeachtet seines Schlachtermessers Und ob ich hätte selbst dran glauben müssen. Wobei letzteres, wie ich vermutete, sehr viel wahrscheinlicher war.
Die Flut ging allmählich zurück. Zwischen den Nebelfetzen sah ich geisterhaft Möwen flattern. Ich erreichte den Eingang der Höhle, blieb an jenem Felsvorsprung stehen, auf dem Leo gesessen und seine Pfeife geraucht und gesagt hatte, die Kirche verzehre uns alle, nicht umgekehrt. Aber Leo war nicht da. Das machte mich mißtrauisch. Ich hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, um hierherzugelangen. Leo und Padraic hingegen hatten vom Kloster aus durch einen der Felsentunnel kommen wollen. Sie hätten schon längst hier sein und auf mich warten müssen.
Ich sah keinen Sinn darin, stehenzubleiben und zu warten. Also trat ich in das Innere der Höhle, ging durch das dunkle Gewölbe, wobei mir klar war, daß ich nur so weit gelangen konnte, wie das trübe Licht reichte, das von draußen hereinfiel. Wie sich herausstellte, brauchte ich nicht weit zu gehen.
Auf einer Felskante saß ein Mann und wartete auf mich. Er wirkte fast, als wäre er eingeschlafen.
Doch seine Augen waren weit aufgerissen und tief in die dunklen Höhlen gesunken. Ich sah das Weiße der Augäpfel, wie zwei trübe, starre Halbmonde, und ich wußte, daß es schon wieder passiert war, daß es auch hier passiert war. Ich blieb wie angewurzelt stehen, wie erstarrt, wie ein Mann, der weiß, daß er schon so gut wie tot ist; ich wartete nur auf den alles auslöschenden Schmerz, lauschte, wann endlich die Schritte hinter mir erklingen würden, wann das silberhaarige Monstrum wie ein Alptraum aus der Dunkelheit heranschweben würde, das funkelnde Messer in der Faust, um allem ein Ende zu machen …
Doch niemand kam. Ich blickte zum Höhleneingang, ob ich dort die Umrisse eines Mannes im Gegenlicht erkennen konnte. Aber es war niemand zu sehen. Niemand war hier unten. Niemand kam.
Ich trat näher an den Felsvorsprung heran, betrachtete den alten Mann in der Soutane. Das Blut an seiner Kehle war noch feucht und klebrig; ein scharlachroter Streifen. Ich spürte es an den Fingerspitzen. Bruder Padraic …
Ich lehnte mich an die glitschige Felswand und würgte den bitteren Geschmack der Todesangst herunter. Ich konzentrierte mich auf den Schmerz in meinen Knien, in den Handflächen, im Rücken. Ich versuchte vergeblich, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Kopf war wie betäubt. Ich wollte raus aus dieser Höhle, nur raus. Aber was mochte draußen auf mich warten?
Ich ging mit langsamen, im seichten Wasser auf dem Höhlenboden leise platschenden Schritten zum Höhleneingang zurück, spähte hinaus in den trüben grauen Nebelvorhang und versuchte, mich zu orientieren. Wo war Bruder Leo? Wo war das Konkordat der Borgia?
Ich mußte zum Kloster zurück. Sich hier noch aufzuhalten war sinnlos und zudem gefährlich. Ich wankte ins Freie, hinaus auf den Sandstrand, taumelte durch die wehenden Nebelfetzen, wußte, daß ich es niemals schaffen würde, die Steilwand hinaufzuklettern, wußte, daß ich mich in Richtung Strand wenden mußte.
Die riesigen Felsbrocken, welche die kleine Bucht umgaben, tauchten erschreckend plötzlich in einer Nebellücke auf, und da war irgend etwas im Wasser, etwa auf halber Strecke zwischen den Felsen und meinem Standort. Dann zog der graue Vorhang sich wieder zu, und ich ging in die Richtung, wo ich dieses Etwas gesehen hatte, und strengte die Augen an, versuchte, die Gestalt wiederzuentdecken. Irgend etwas stimmte da nicht. Ich watete ins Wasser. Dann sah ich es wieder. Ein großes Kreuz, tief in den Sand getrieben wie ein Pfahl. Es schien mir durch Regen und Nebel zuzuwinken, schien mich anzulocken wie der Wal einst Ahab …
Was immer da vor mir war – es wollte und wollte in den wirbelnden Nebelschwaden einfach nicht deutlicher werden. Der Regen trübte mein Sichtfeld, und das Salzwasser, vom Wind gepeitscht, brannte mir in den Augen. Irgendwo in der Ferne, hinter dem Schleier aus Nebel und Regen, strahlte die Sonne und bleichte den dampfenden grauen Dunst um mich herum. Dann erkannte ich es.
Zehn Meter entfernt, als ich im eiskalten Wasser stehenblieb, das an meinen Schuhen leckte und meine Füße bis zu den Knöcheln näßte.
Ein primitives, grob gezimmertes Kreuz, das
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