Assassini
verkehrt herum in den Sand getrieben und von den an- und abflutenden Wellen leicht zur Seite gekippt worden war.
Ein auf den Kopf gestelltes Kreuz. Die älteste Warnung des Christentums.
Und an dieses Kreuz war der Leichnam von Bruder Leo genagelt; ein Arm hatte sich gelöst und bewegte sich im Rhythmus der Wellen hin und her, das Gesicht war blau angelaufen; der Leib aufgetrieben vom Wasser, an dem er ertrunken war.
Ich geriet in Panik. Das entsetzliche Bild schlug wie ein Blitz in mein Bewußtsein, lähmte jeden klaren Gedanken, verhinderte jede Möglichkeit, die eigene Situation einzuschätzen. Ich verlor völlig die Kontrolle über mich selbst. Ich dachte nicht an die Waffe in meiner Jackentasche, LeBeqcs Waffe, kam gar nicht auf den Gedanken, mich auf die Jagd nach dem verfluchten, dreckigen Hurensohn zu machen. Ich dachte nicht daran, mich auf dem schnellsten Weg zum Kloster zu begeben und dort zu berichten, was der Wahnsinnige hier angestellt hatte. Ich dachte überhaupt nicht nach. Ich rannte einfach davon, wie von tausend Teufeln gehetzt.
Du hast wirklich erstklassige Arbeit geleistet, seit du deine Schwester Val ermordet aufgefunden hast, schoß es mir durch den Kopf. Und ich rannte, stolperte, rappelte mich wieder auf, taumelte weiter, immer das gräßliche Bild des gekreuzigten alten Mannes vor Augen, das sich in mein Hirn eingebrannt hatte; ich rannte und stolperte den Strand entlang, eine Karikatur des Schreckens. Irgendwie, irgendwann gelangte ich an die bienenstockartige Außenmauer des Klosters, fand die Zelle, in der ich die Nacht verbracht hatte, schnappte meine Siebensachen, warf sie auf den Rücksitz des Wagens, stieg ein, fuhr überstürzt los, schrammte mit einem Kotflügel einen scharfkantigen Markstein und jagte die Böschung hinauf auf die schmale Straße. Ich handelte rein instinktiv, in blinder Hast, gab Gas, als wäre mir etwas Entsetzliches auf den Fersen, ganz dicht hinter mir, irgend etwas, dem ich nicht entkommen konnte, egal wohin ich mich auch wandte. Ich erlebte die Wiedergeburt der schlimmsten Kindheitsängste, die völlige Hilflosigkeit, die Verwundbarkeit, und tatsächlich war ich in diesen Augenblicken das Kind, das ich einst gewesen war, das sich vor den Ungeheuern fürchtete, die in der Finsternis lauerten.
Ich fuhr zwei Stunden, so schnell die Wege und Straßen es erlaubten, bevor ich mich so weit beruhigt hatte, daß ich neben der Straße halten und die letzten Reste von Brot und Käse verzehren konnte, die vom vergangenen Abend übriggeblieben waren. Hier im Binnenland war es ein wenig wärmer als an der Küste, doch auch hier regnete es ununterbrochen. Ich schenkte weder der Gegend Beachtung noch dem Dorf, in dem ich schließlich hielt, um einen Kaffee zu trinken. Es blieb nicht bei dem einen Kaffee.
Ich trank eine ganze Kanne und aß dazu Eier, Würstchen, geschmorte Tomaten und Toast. Mein Hungergefühl war völlig außer Kontrolle, als würde die schlichte Tatsache, Nahrung in mich aufzunehmen, meinen Verfolger abwehren können. Dann setzte ich mich in einem kleinen, in der Nähe gelegenen Park auf eine Bank in die Sonne, die plötzlich durch die Wolken gebrochen war, und beobachtete ein paar Kinder, die auf einem kleinen Rasenstück Fußball spielten, beobachtete, wie junge Mütter ihre warm eingepackten Babys in Kinderwagen spazierenfuhren. Ganz allmählich beruhigte sich mein rasender Pulsschlag, und ich war wieder fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Es mußte Horstmann gewesen sein, und niemand anderes. Horstmann. Er hatte vor vierzig Jahren das geheime Dokument nach Norden gebracht, und nun war er wiedergekommen und hatte dieses gräßliche Gemetzel veranstaltet. Er war meiner Fährte gefolgt. Er hatte gewußt, daß ich Bruder Leo im Kloster St. Sixtus aufsuchen wollte. Er hatte sicher noch einiges von Robbie Heywood erfahren, bevor er ihn ermordete. Und möglicherweise hatte er dann abgewartet, hatte mich beobachtet, war mir gefolgt … und hatte Leo aus dem Weg geräumt, der mir noch so viel hatte erzählen wollen.
Aber warum hatte er mich nicht getötet? Horstmann war beim Kloster gewesen, hatte uns wahrscheinlich beobachtet, und nachdem er die beiden alten Männer getötet hatte, war er im Nebel verschwunden …
Der Fußball rollte mir vor die Füße. Ich kickte ihn zu einem Mädchen mit Zöpfen hinüber, das ihn aufnahm und mir ein Dankeschön durch die Lücke zulispelte, wo einst ihre Schneidezähne gewesen waren.
Horstmann hatte jetzt das
Weitere Kostenlose Bücher