Assassini
er aus Liebeskummer schmachtend auf die Fenster Ihrer Wohnung gestarrt hat«, sagte ich.
Sie wurde rot. »Diese Bemerkung halte ich für höchst unpassend. Die Sache ist viel zu ernst, um dumme Witze zu machen.«
»Ich mache keine Witze«, sagte ich. »Aber was soll’s. Ist sowieso unwichtig. Erzählen Sie weiter. Nur weiter.« Dunn sagte: »Bitte keinen Streit, Kinder.«
»Sandanato war unten auf der Straße, als es passiert ist. Er war völlig aufgewühlt wegen all der Geschehnisse in den Tagen und Wochen zuvor. Ihm gingen tausend Dinge durch den Kopf – die Morde, die Krankheit des Papstes, die häufigen Treffen D’Ambrizzis mit dem Papst, Tag und Nacht, das ganze Gerangel unter den papabili um die beste Ausgangsposition für die Papstwahl. Sandanato sieht zu Tode erschöpft aus. Manchmal habe ich den Eindruck, er steht das nicht mehr lange durch. An diesem Abend ist er ziellos durch die Straßen geirrt und hat dann festgestellt, daß er sich in der Nähe meiner Wohnung befand. Er wollte daraufhin bei mir vorbeischauen, um sich ein wenig mit mir zu unterhalten. Er hatte mir ein paar Tage zuvor schon einige seiner Gedanken über die Kirche anvertraut, und daraus hat sich eine lange Diskussion zwischen uns beiden entwickelt, wie ich sie damals oft mit Val geführt habe, bis tief in die Nacht …«
»Ich könnte mir vorstellen«, sagte ich, »daß Val eine größere intellektuelle Herausforderung gewesen ist.«
Elizabeth ignorierte meine Bemerkung. »Jedenfalls hat er einen Schrei gehört. Er wußte zuerst nicht, wer es war. Dann hat er eine Frau gesehen, die in der Nähe stand und schrie und mit dem Finger nach oben in die Dunkelheit wies. Der Priester, der Mann, der versucht hat, mich zu ermorden, stürzte in die Tiefe … Er schlug auf dem Dach eines geparkten Wagens auf, wurde dann auf die Straße geschleudert …« Sie erschauderte. »Wo zwei oder drei Autos ihn überfuhren. Es … blieb nicht viel von ihm übrig. Man konnte ihn nicht identifizieren … Es ist sogar möglich, daß er gar kein Priester war. Sandanato ist dann sofort zu mir heraufgerannt, er war völlig außer sich …« Ich schüttelte den Kopf. »Ich frage mich nur, woher er wissen konnte, daß der Priester ausgerechnet von Ihrem Balkon stürzen würde.«
»Das konnte er nicht wissen«, sagte sie. »Er wollte nur sicher gehen, daß mir nichts zugestoßen war …«
»Man kann sich nicht vor ihnen verstecken«, sagte ich. »Bis jetzt war ich der Meinung, daß sie nur Horstmann auf die Jagd geschickt haben. Daß allein Horstmann die Verbindungspersonen tötet, bevor ich an sie herankommen und mit ihnen reden kann. Aber jetzt wissen wir, daß sie nicht nur mich beobachten, sondern uns beide.«
»Vergessen Sie mich nicht, alter Junge«, sagte Dunn. »Ich stecke genauso in der Sache drin wie Elizabeth und Sie. Vielleicht läßt man mich auch beobachten.« Er winkte dem Ober und bestellte Kaffee und Cognac.
»Also ist anzunehmen«, sagte ich, »daß mehrere Killer ausgeschickt wurden. Aber wer gibt ihnen die Befehle? Wer erteilt ihnen den Auftrag zu töten? Wer war der Meinung, Schwester Elizabeth wisse zu viel und müsse deshalb sterben? Wem kann Ihr Tod, Father, von Nutzen sein? Und was hat das alles mit Calixtus’ Nachfolge zu tun?«
Elizabeth wollte wissen, was wir über den mysteriösen Erich Kessler herausgefunden hatten. Dunn erzählte ihr, was er wußte, berichtete, daß ein Bekannter ihn in Avignon aufgestöbert hätte und daß wir ihn aufsuchen wollten. Da war sie wieder, die Verbindung zu den Nazis, und Dunn sagte: »Aber er war einer von den guten Nazis, meine Liebe.«
»Gute Nazis, schlechte Nazis …« Sie schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. »Ich dachte, das alles läge schon tausend Jahre zurück.«
Als wir schließlich in Schweigen verfielen, hatte sich das Restaurant fast geleert; die Kellner standen in einer Gruppe am Tresen und beobachteten uns, gähnten ostentativ. Das Kaminfeuer war zu einem Haufen schwach glühender Kohlen heruntergebrannt. Es war kurz vor Mitternacht.
Wie sich herausstellte, war Schwester Elizabeth im Hotel Bristol abgestiegen, das ein Stück die Straße hinunter lag. Es war das vermutlich teuerste Hotel in ganz Paris, in herrlicher Lage an der Rue du Fauborg-St.-Honore. Als wir den überdachten Eingang des Bristol fast schon erreicht hatten, glitt eine große, schwarze, glänzende Limousine die Zufahrt zum Hotel hinauf und hielt dort. Die Regentropfen schimmerten auf dem polierten
Weitere Kostenlose Bücher