Assassini
würde bald beginnen.
Ich erhob mich und trat von dem kleinen Tisch weg und stieg die Plattform hinunter, schlängelte mich durch die Menschenmenge und schenkte meinem inneren Monolog die gleiche Aufmerksamkeit wie der Suche nach Elizabeth. Was für ein idiotischer Gefühlsausbruch: Ich liebe Sie … Was für ein schwachsinniges Gefasel. Und was für ein außergewöhnlich galanter Bursche ich doch gewesen war! Sie hatte mich auf eine unerwartete und sehr persönliche, ja, intime Art und Weise ins Vertrauen gezogen und mir erklärt, wie sie zu dem Entschluß gekommen war, Nonne zu werden, und ich hatte mich entschlossen, diese ›ideale‹ Gelegenheit beim Schopf zu packen und meine Wut und Angst und Enttäuschung loszuwerden, auf Elizabeth’ Kosten … Sie hatte recht. Ich war verrückt. Ich mußte sie finden und sie um Verzeihung bitten und dann versuchen, sie zu vergessen. Jawohl, gib’s auf, Ben, alter Junge, sie ist Nonne, um Gottes willen.
Das waren meine Gedanken, während ich mir einen Weg durch die Menge bahnte und ihr wieder aufbrandendes Gelächter vernahm, und das unaufhörliche, lärmende Geschnatter der Schauspieler und das Säuseln des aufgefrischten Windes in den nackten Ästen der Bäume. Wohin war Elizabeth gegangen?
Zuerst wurde mir gar nicht bewußt, was ich plötzlich sah, vielleicht, weil es so völlig unerwartet kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich suchte Elizabeth, aber …
Am Rande der Menschenmenge sah ich Drew Summerhays.
Ich hatte nicht die geringste Erklärung für sein plötzliches Erscheinen. Was trieb er hier in Avignon? Für gewöhnlich verbrachte Summerhays die Wintermonate zum Teil in seinem Haus an der Fifth Avenue, umgeben von seinen Katzen und seinen katholischen Freunden und den plätschernden Springbrunnen und bei gepflegten Drinks vor dem Kamin, zum Teil in seiner Villa auf den Bahamas, die sich im Lauf der Jahre einen Platz in den Geschichtsbüchern erobert hatte. Mehr als ein Staatspräsident hatte mit seiner Yacht die Anlegestelle vor Summerhays’ Villa angelaufen, um ihm seine Aufwartung zu machen.
Aber da stand er, in seiner typischen kerzengeraden Haltung. Hier in Avignon.
Er drehte den markanten Kopf ein wenig zur Seite und sagte irgend etwas zu einem anderen Mann. Er war kleiner als Summerhays und trug einen dieser grünen Tiroler Filzhüte mit einer Feder an der Seite sowie einen Trenchcoat, dessen Kragen er hochgeschlagen hatte. Mehr konnte ich nicht von ihm sehen.
Drew Summerhays …
Ich überdachte kurz die Möglichkeit, ob dies ein bloßer Zufall sein könnte, aber die Chancen waren geradezu lächerlich gering. Daß Summerhays ausgerechnet nach Avignon gekommen war, wo Dunn und Erich Kessler und ich uns hier aufhielten, konnte kein Zufall sein. Niemals. Was also war der Grund?
Ich bewegte mich am Rande der Zuschauermenge entlang in Summerhays’ Richtung, um ihn besser beobachten zu können. Aber was brachte mir das eigentlich ein? Warum ging ich nicht direkt zu ihm, redete mit ihm? Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht hoffte ich zu erkennen, daß es sich doch nicht um Summerhays handelte, daß ich mich geirrt hatte, daß die ganze verfluchte Geschichte nicht noch komplizierter wurde.
Alle lachten und applaudierten, und ich wühlte und schubste und stieß mich voran, trat einigen Leuten auf die Füße und erntete manch unfreundlichen Blick. Ich gelangte schließlich bis auf fünfzehn Meter an Summerhays und seinen Begleiter heran, und nun gab es keinen Zweifel mehr. Summerhays trug einen anthrazitfarbenen Chesterfield mit samtenem Kragen. Er lachte nicht, und er applaudierte nicht. Er war so ruhig und gelassen und unbeteiligt, als schlummere tief in seinem Innern die Essenz des Todes, die ewige Ruhe. Er wirkte wie jemand, der die Schranken des Alters durchbrochen hatte und zu mehr als einem bloßen Menschen geworden war. Der Mann mit dem Hut bewegte sich langsam, exakt, mit Bedacht; er ließ den Blick über die Menge schweifen, als suchte er irgend jemanden oder irgend etwas. Ganz spontan entschloß ich mich, zu Summerhays hinüberzugehen und ihn anzusprechen. Herrgott, es war Summerhays, mein väterlicher Freund, mein Vertrauter, mein Mentor! Ich setzte mich kurz entschlossen in Bewegung, bevor ich es mir anders überlegen konnte, und kämpfte mich durch die Masse aus Leibern.
Ich hatte mich den beiden Männern bis auf etwa acht Meter von hinten genähert, als ich abrupt innehielt. Ich konnte förmlich spüren, wie meine Entschlossenheit mit
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