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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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was man auch mit ihnen gemacht hat –, wir guten katholischen Jugendlichen kamen in ziemliche Gewissenskonflikte. Und dann die Geschichte mit Bobby Kennedy, die Fernsehbilder, wie er am Boden liegt und ins grelle Scheinwerferlicht starrt, während ihm das Blut aus der Kopfwunde strömt, und Martin Luther King auf dem Balkon des Motels und Kent State und Woodstock und Bob Dylan und die Polizeiausschreitungen in Chicago ’68, wo ich auch was aufs Maul bekam und mir die Unterlippe aufgeplatzt ist …
    Vielleicht war ich ein Trottel oder zu empfindsam oder wurde genau zur rechten Zeit erwachsen – oder genau zur falschen. Jedenfalls blickte ich auf mein damaliges Leben zurück, und dann wurde mir sehr deutlich bewußt, daß ich mich nach Sicherheit sehnte, nach einem Halt, nach Glaube, nach Vertrauen und – entschuldigen Sie, wenn sich das ein bißchen dick aufgetragen anhört – ich wollte das tun, was man ganz allgemein als gute Werke bezeichnen kann. Ich habe die Kirche geliebt – ich war ein junges Ding, voller Schuldgefühle und Enttäuschungen wegen meiner kleinen, jämmerlichen sexuellen Gehversuche, und ich war verängstigt wegen des steigenden Rauschgiftkonsums, verwirrt wegen der Leck-mich-Einstellung, die damals so viele junge Leute hatten, wegen der sexuellen Freizügigkeit … Wenn ich heute zurückblicke, dann habe ich das Gefühl, meine Welt ist mit den fünfziger Jahren untergegangen, die sechziger habe ich nur … beobachtet. Sicher, manche haben diese wilden Jahre gemocht, die Zeit der Veränderung, der Auflehnung. Ich nicht. Ich konnte mich einfach nicht hineinfinden – ich war nie der Typ, der rebelliert. Für Veränderungen zu arbeiten ist ganz etwas anderes, und so bin ich dann zur Bürgerrechtsbewegung gekommen, aber was das betrifft, war Kenilworth nicht gerade eine der Hochburgen in den Staaten. Aber, wie gesagt, Auflehnung war nie meine Sache. Val war ein solcher Mensch. Von ihrem ganzen Wesen her.
    Was mich angeht – mir wurde klar, daß ich mich nach der Sicherheit und Geborgenheit meiner ersten zehn Lebensjahre zurücksehnte. Was nach 1963 geschehen ist, hat mir angst gemacht. Oh, ich habe das damals nie zugegeben, aber nichts von all dem hat meinen Glauben an die Güte meiner Eltern beeinträchtigen können oder an die Kirche. Viele meiner Freunde haben sich damals von der Kirche losgesagt, einige sind in der Drogenszene gelandet, sie sind vor dem Leben davongelaufen und haben die Schuld für ihr Versagen der Gesellschaft und ihren Eltern zugeschoben … aber ich nicht. So war ich nicht.
    Ich sah eine Welt, die aus den Fugen zu geraten drohte. Alle Wertvorstellungen, die man mir anerzogen hatte, schienen in gewisser Weise in Verruf zu kommen, die ›normalen‹ Pfade, auf denen man früher gewandelt war, schienen versperrt. Und mein Bruder Francis, der Idealist in unserer Familie, der in den Krieg gezogen war, um seinem Vaterland zu dienen, fiel während der Tet-Offensive in Vietnam, und es war eine lange und schreckliche Zeit, bis ich seinen Tod verwunden hatte. Und auch wegen Francis’ Beispiel hätte manch anderer vielleicht behauptet, daß ein so sinnloser Tod der Beweis dafür ist, daß es keinen Gott gibt, und hätte sich von der Kirche abgewandt. Aber ich nicht. Ich mußte damit fertig werden, mußte selbst eine Erklärung dafür finden. Ich konnte und wollte nicht bloß weinen und jammern und trauern und Lyndon Johnson oder jemandem, der mir gerade zupaß kam, die Schuld am Tod meines Bruders geben. Für mich war Francis’ Tod nicht der Beweis, daß die menschliche Existenz sinnentleert oder bedeutungslos ist. Das Leben hat eine Bedeutung, es gibt Recht und Unrecht und Gut und Böse, und es gibt letztendlich eine Bestrafung für all jene, die sie verdient haben. Gott hat dem Leben seine Bedeutung verliehen – und ich habe mich immer an die Kirche gewandt, wenn ich Antworten brauchte. Die Kirche konnte mir einfach mehr bieten als die anderen möglichen Alternativen. Und daß die Kirche in einer Welt, in der sich alles in einem rasenden Wirbel dreht, zeitlos war und ist und bleibt, hat mich … überwältigt. Im Vergleich zur Kirche erschien mir alles andere trivial. Höre ich mich jetzt wie ein Jesus-Jünger an, Ben? Ich hoffe nicht. Weil ich nämlich keiner bin. Aber die Kirche konnte ich ernst nehmen, nicht aber die Hippie-Subkultur oder Popmusik oder eine Rebellion, die gar keine gewesen ist. Ich habe den Vietnamkrieg abgelehnt, und ich habe das Verantwortungsbewußtsein

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