Assassini
…«
»Aber was hat Summerhays gestern abend in Avignon getrieben?«
»Tja, das ist der Knackpunkt, nicht wahr? Es spricht viel mehr dafür, daß Summerhays mit Archduke identisch ist … aber ich habe Ihnen die Geschichte des gestrigen Abends erst zur Hälfte erzählt.«
»Ach, wirklich?« sagte Father Dunn erstaunt.
»Schwester Elizabeth und ich hatten gestern abend ein kleines Problem, eine Meinungsverschiedenheit …«
»Irgendwie hatte ich heute auch den Eindruck.«
»Die Sache ist die. Ich stand also allein in der Menschenmenge, als ich Summerhays und seinen Begleiter gesehen habe. Als die beiden mich bemerkten, wurde mir plötzlich klar, daß ich mich schleunigst aus dem Staub machen mußte, denn irgendwas stank da zum Himmel. Jetzt paßte aber auch rein gar nichts mehr zusammen. Ich renne also los und schaue mich immer wieder um, ob dieser kleine Kerl mit der Hackfleischkehle und der Feder am Hut hinter mir her ist … und dann, tja, dann hat jemand anderer mich schließlich aufgestöbert. Als hätte er gewußt, wo ich mich versteckt hielt, als hätte er mich nie aus den Augen verloren, als hätte er – und das ist kein Witz – sogar auf mich gewartet …«
»Nun sagen Sie schon, wer’s war, Ben.«
»Horstmann. Es war Horstmann, hier in Avignon. Wir alle … sie alle sind hier in Avignon …«
»Wollen Sie damit etwa sagen, Summerhays steckt mit Horstmann unter einer Decke?«
»Wer weiß? Gibt es überhaupt jemanden, der diese ganze Scheiße noch durchschauen kann?«
»Heilige Maria. Horstmann. Was ist dann passiert? Wie sind Sie ihm entkommen?«
»Er hat mir gesagt, ich soll nach Hause gehen. Er hat mich nicht getötet. Er hat mich beinahe angefleht, nach Hause zu gehen. So, und jetzt machen Sie sich mal einen Reim darauf.«
»Nehmen wir einmal an, Archduke ist mit Summerhays identisch, und Simon mit D’Ambrizzi«, sagte Dunn grübelnd. »Diese beiden Männer kennen Ihren Vater, Ihre ganze Familie, seit Jahrzehnten und haben allen Grund, sie zu respektieren, zu lieben. Aber wenn diese beiden hinter der ganzen Sache stecken, dann arbeitet – tötet – Horstmann in ihrem Auftrag. Das könnte eine Erklärung für die Warnung Horstmanns an Sie sein. Summerhays und D’Ambrizzi wollen um jeden Preis, daß Sie sich aus der Sache heraushalten …«
»Aber wenn diese beiden die Hintermänner sind, dann hätten sie meine Schwester auf dem Gewissen«, sagte ich.
Dunn nickte langsam. »Vielleicht haben sie Ihre Schwester ermorden lassen. Sollte das der Fall sein, haben sie Val töten lassen, um sich selbst zu schützen. Und das wiederum ist ein Grund mehr, Ihr Leben zu schonen, Ben … als Ausdruck ihrer Reue, oder um ein gewisses Maß an Schuld abzutragen. Ihr Vater, Ben, hat D’Ambrizzi nach dem Krieg das Leben gerettet. Er hat ihn in die Staaten geschleust, als D’Ambrizzi der Boden unter den Füßen zu heiß wurde. Und Summerhays war und ist der väterliche Freund Ihres Vaters, sein Lenker und Leiter auf dem Weg zur Macht. Gott allein weiß, welche Aufträge Ihr Vater im Krieg für Summerhays erledigt hat, aber ich bin sicher, daß Summerhays deshalb in seiner Schuld stand. Wenn D’Ambrizzi und Summerhays also Ihre Schwester ermorden ließen, die Tochter jenes Mannes, dem beide zu tiefem Dank verpflichtet sind – um Himmels willen, können Sie sich vorstellen, welche Höllenqualen die beiden jetzt erdulden müssen? Sie wollen nicht auch noch Hugh Driskills Sohn töten lassen.«
Ich hatte seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gebetet, aber was in diesen schrecklichen Augenblicken leise über meine Lippen kam, war ein Gebet.
»Möge Gott mir die Kraft geben«, sagte ich, »und ich werde sie alle töten …«
Am Morgen verließen wir Avignon.
Drei verängstigte Pilger auf dem Weg nach Rom.
FÜNFTER TEIL
1
Auf dem Rasen vor der Villa ihres Amtskollegen Poletti spielten die Kardinale Boccia. Ottaviani hatte gerade die schwere, mit Kreuzmuster versehene Kugel geworfen, und nun rollte sie mit treffsicherer Zielgenauigkeit über das perfekt gemähte grüne Gras, stieß Vezzas Kugel zur Seite und blieb dicht neben dem ›Spot‹ liegen, dem kleinen, leuchtend weißen Ball, dem man so nahe wie möglich kommen mußte, um zu siegen. Vezza schleppte sich schwerfällig zu einem hölzernen Gartenstuhl und ließ sich vorsichtig darin nieder, wie ein altes Gebäude, das nach einer Sprengung langsam in sich zusammenbricht. Er hustete und wischte sich den Speichel von den trockenen, aufgesprungenen
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