Assassini
den offiziellen Feierlichkeiten landeten wir auf einer Cocktailparty, die von einem Freund einiger Jesuiten gegeben wurde, die sich als glühende Verehrer meiner Schwester erwiesen. Vom Apartment aus hatte man einen herrlichen Blick auf den Gramercy Park. Die Luft war geschwängert mit Rauch, der Wein floß in Strömen, und Witze über den Papst machten die Runde. Und die arme Val stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Ich fühlte mich zum kühlenden Windhauch hingezogen, der aus einem spaltweit geöffneten Fenster drang. Thanksgiving war gerade erst vorbei, aber schon jetzt hatte es heftig geschneit. Der Gramercy Park hatte das Aussehen eines für Weihnachten dekorierten Schaufensters angenommen. Schwester Elizabeth kam zu mir herüber und schlug vor, einen kleinen Spaziergang durch den Schnee zu machen. Father John Sheehan, S.J., den ich seit Jahren kannte, bedachte Elizabeth mit einem ganz und gar nicht priesterlichen Blick, als wir durch den Flur zur Tür gingen, und dann nickte er anerkennend und bildete mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis: Klassefrau. Er hatte keine Ahnung, daß Elizabeth Ordensschwester war.
Der Schnee war tief, und sie benahm sich so übermütig wie ein kleines Mädchen, das länger aufbleiben durfte, kickte mit ihren ledernen Boots in die Schneeverwehungen und warf Schneebälle gegen die Bäume hinter dem eisernen Zaun. Der Gramercy Park hatte sich in eine verschneite Traumlandschaft verwandelt. Wir schlenderten an den gedämpften Lichtern vorüber, die aus den Fenstern des Players Club strahlten, gingen dann hinunter zum Irving Place, wo die geparkten Wagen sich langsam in eine niedrige Hügelkette aus Schnee verwandelten.
Wir kehrten bei Pete’s ein und tranken an der verkratzen, ehrwürdigen alten Theke ein Bier; das Foto Frank Sinatras blickte wie eine Ikone auf uns nieder oder wie das Portrait des Abts eines ganz besonderen Ordens. Elizabeth erzählte mir von ihrem Job bei der Zeitschrift in Rom, und ich gestand ihr, wie seltsam ich mich in der Gesellschaft so vieler gläubiger Katholiken fühlte, weil ich das seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Sie erkundigte sich nach meiner Frau, Antonia, und ich erzählte ihr, daß wir geschieden seien. Sie nickte nur und trank einen Schluck Bier. Auf ihrer Oberlippe blieb ein weißer Bart aus Schaum zurück.
Als wir Pete’s verließen, liefen wir Val und Sheehan in die Arme. Wir gingen gemeinsam die ganze Lexington Avenue bis in die Innenstadt, lachend und herumalbernd. In diesen Minuten entdeckten wir alle die Kindheit wieder und taten so, als würde sich letztlich immer alles zum Guten wenden. Aber das war nicht der Fall, und jetzt war meine Schwester tot.
»Ben, lassen Sie uns zur Sache kommen. Ich habe ihre Schwester geliebt. Aber ich habe noch keine Träne um sie geweint. Ich weiß auch nicht warum.« Schwester Elizabeth wischte sich den Schaum von der Oberlippe und knüllte die Papierserviette zu einem festen kleinen Ball zusammen.
»Ich habe auch noch keine Träne um Val vergossen. Wahrscheinlich würde sie das auch nicht wollen …«
»Das sagen die Leute immer. Vielleicht stimmt es. Ich bin jedenfalls viel zu wütend, um weinen zu können.«
»Sie sprechen mir aus der Seele, Schwester.«
Elizabeth wollte alles wissen, und ich erzählte es ihr. Lockhardt, Heffernan, Val, mein Vater. Father Dunn und dessen Theorie vom Killer-Priester. Alles.
»Tja«, sagte sie, »was den Aktenkoffer betrifft, haben Sie recht. Er war sozusagen Vals Version meines Terminkalenders. Sie hat ihn überallhin mitgenommen. Sie hatte ihn auch bei sich, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Proppenvoll mit Unterlagen, Papieren, Notizbüchern, Fotokopien, Schreibzeug, historischen Atlanten, Schere, Klebstoff- sie hatte ihre gesamte Arbeitswelt in dem Aktenkoffer verstaut.«
Ich sagte: »Man hat sie ermordet und den Aktenkoffer gestohlen. Womit hat sie sich beschäftigt, daß dessen Inhalt so wichtig gewesen sein könnte?«
»Und wichtig für wen? Und warum stellten offenbar auch Heffernan und Lockhardt eine solche Bedrohung wie Val dar?«
»Was hatten Lockhardt und Heffernan eigentlich vor?«
Elizabeth sah mich erstaunt an. »Sie haben wirklich jeden Kontakt zur Kirche verloren. Die beiden haben über die Wahl des nächsten Papstes gesprochen, was denn sonst! Ganz Rom redet nur noch darüber, und Lockhardt und Heffernan waren Rom, wohin sie auch gingen. Ich frage mich nur, welchen Kandidaten wollten die beiden unterstützen? Lockhardt
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