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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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gewichtigen Mienen und Neugier in den Augen zu mir umgewandt, froh, daß es mich getroffen hatte und nicht sie.
    Ich hatte ihre Stimme gehört, vor lauter Angst aber gar nicht begriffen, was sie mich gefragt hatte. Ich stotterte; Tränen schossen mir in die Augen. Das metallene Lineal blitzte auf und sauste herab, und die Haut über meinen Handknöcheln platzte. Ich sah eine dünne rote Linie, die sich über die gesamte Breite der Hand erstreckte. Ich spürte, wie mir vor Zorn und Schmerz die Röte ins Gesicht schoß. Ich weinte. Ich schluckte verzweifelt, um einen Aufschrei zu unterdrücken, und das Ergebnis war ein klägliches Wimmern.
    Ich quälte mich schweigend und trübselig durch den Rest des Vormittags, hielt die Augen gesenkt, versuchte, jeglichen Blickkontakt mit Schwester Mary Angelina zu vermeiden. Doch die Furcht und ein Gefühl, das ich allmählich als Abscheu zu erkennen begann, steigerten sich in dem Achtjährigen zu einem Crescendo, und dann stand ich, am ganzen Körper zitternd, auf der Jungentoilette und ließ kaltes Wasser über meine Knöchel laufen. Nach dem Mittagessen kehrte ich in die Klasse zurück. Mein Plan stand fest. Benji Driskill hatte die Nase voll. Ich hatte alles überdacht, hatte mir alle möglichen Konsequenzen vor Augen geführt, hatte aber nichts entdecken können, das schlimmer war als die endlose Kette von Demütigungen durch Schwester Mary Angelina.
    Während der Nachmittagspause schlich ich mich hinter das Schulgebäude, das hoch in den grauen Himmel ragte und nur aus Erkern und Türmchen und Fensterhöhlen zu bestehen schien, in denen gelbes, schummriges Licht glomm. Eine Festung. Und ich war im Begriff, aus dieser Festung zu fliehen.
    Ich wartete im Gebüsch in der Nähe eines alten, unbenutzten Wagenschuppens. Der Nachmittag zog sich schleppend dahin, Stunde um Stunde, aber niemand kam, um nach mir zu sehen. Dann endete der Schultag, und die anderen Kinder stürmten aus den Türen und rannten nach Hause oder zu wartenden Autos. Als der Schulhof sich geleert hatte, Schüler und Nonnen verschwunden waren, verspürte ich ein wundervolles Gefühl der Freiheit. Bodennebel krochen über das feuchte Gras und legten sich wie geisterhafte Hände um die Stämme der Fichten.
    Während ich zitternd im Gebüsch stand, verrann eine weitere Stunde. Allmählich verdrängte die Dunkelheit das bleiche Licht des Nachmittags, und ich stellte erst jetzt fest, daß mein Plan unvollkommen gewesen war. Ich war nur Schwester Mary Angelina entronnen, mehr nicht. Die Freude über meinen Triumph legte sich zusehends. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen, um dort die Suppe auszulöffeln, die ich mir eingebrockt hatte. Ich schlich an dem hohen, schwarzen eisernen Zaun entlang, als ich den Vogel sah.
    Er war auf einer der pfeilförmigen Spitzen aufgespießt, die sich oben an den Stäben des Zauns befanden. Er war tot, war bereits in Verwesung übergegangen; er bestand aus kaum mehr als einer Handvoll zerzauster, blutiger Federn, die an den Überresten des winzigen, dürren Gerippes klebten. Er hing dort an der eisernen Spitze; eines der Augen war geöffnet und starrte mich boshaft an. Für mich war der tote Vogel wie die Verkörperung des Bösen schlechthin. Ich war noch immer wütend und beschämt wegen der Bestrafung durch Schwester Mary Angelina, und ich sah plötzlich das Gemälde über der Tür zum Zimmer der dritten Klasse vor mir, das den ausgezehrten, gekreuzigten, von furchtbaren Schmerzen gequälten, blutüberströmten Christus zeigte. Ja, dieser tote Vogel war über alle Maßen böse, war der schreckliche Höhepunkt dieses an Grausamkeiten und Demütigungen so reichen Tages.
    Ich wußte, ich konnte Schwester Mary Angelina nicht mehr gegenübertreten, in ihre schwarzen Augen blicken, die hinter den runden, flachen Brillengläsern brannten, in das blasse, ja weiße Gesicht, das mich an die Maske eines Clowns erinnerte und mich anstarrte und bis in meine Träume hinein verfolgte.
    Ich rannte los, rutschte auf dem glatten Rasen aus, stürzte, rappelte mich wieder auf, rannte weiter. Ich erreichte den kiesbedeckten Zufahrtsweg, stürmte hinunter zu dem hoch aufragenden schmiedeeisernen Tor und der Freiheit, die dahinter lag, weg von den Nonnen, weg von dem toten Vogel.
    Keuchend und schweißnaß blickte ich auf, als ich mich dem Tor näherte. Meine Mutter kam den Weg hinauf. Sie sah nicht gerade freundlich aus.
    Ich warf mich herum und rannte in blinder Panik zurück zum Schulgebäude.
    Und

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