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Assassini

Assassini

Titel: Assassini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gifford
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plötzlich war ich in einer Wolke aus schwerer, feuchter, schwarzer Wolle gefangen. Der Geruch, der davon ausging, raubte mir den Atem wie ein Gas, wie der Bodennebel. Ich schlug auf den Umhang ein, wollte mich aus dem harten Griff befreien, aber starke Arme umklammerten mich, hielten mich fest. Ich weinte, ängstlich und schamerfüllt und wütend.
    Es war Schwester Mary Angelina.
    Als ich ihr Gesicht durch den Tränenschleier vor meinen Augen erkannte, konnte ich nur die stechenden schwarzen Pupillen hinter den Brillengläsern sehen … es war der Blick des Vogels, der auf der Spitze des Zauns aufgespießt war, der blutende Christus, die Dunkelheit der Klassenzimmer … ich sah den Haß, den Abscheu und die Furcht, sah all die Frauen mit den kalkweißen Gesichtern, diese Nonnen in den langen schwarzen Umhängen, diese Raben, die auf mich herabstießen …
    »Benji, Benji, ist ja alles wieder gut, mein Kleiner, alles ist wieder gut, nicht weinen …«
    Die Stimme von Schwester Mary Angelina war leise und sanft. Sie kniete neben mir auf dem nassen, schmutzigen Kies. Der Druck des Arms, der um meine Schultern lag, ließ nach, wurde schwächer, und durch die Finger hindurch, die ich vors Gesicht gelegt hatte, sah ich, daß sie freundlich lächelte, und ihre Augen strahlten Herzlichkeit und Güte aus. Ich versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein Husten hervor und bekam einen Schluckauf. Sie barg mich wieder in den Annen, gab mir Schutz und Wärme, klopfte mir sanft auf den Rücken und flüsterte mir ins Ohr: »Nicht weinen, Benji, du hast keinen Grund zu weinen, du brauchst um nichts zu weinen, um gar nichts …«
    Alles in meinem kleinen Universum geriet in einen rasenden Wirbel, nichts schien mehr an seinem gewohnten Ort zu sein, aber ich konnte ihre liebevolle Umarmung nicht wegleugnen, ihre sanfte, freundliche Stimme.
    Sie schien so jung zu sein, keine alte Frau mehr. Sie schien jemand anderer zu sein, eine andere Schwester Mary Angelina. Sie bedeutete meiner Mutter zu warten und redete weiter beruhigend auf mich ein. Ihr wollener Umhang schleifte über den Kies, wurde naß und schmutzig, doch es schien ihr nichts auszumachen.
    Ich lehnte mich an ihre Schulter, barg mein Gesicht in der warmen Feuchtigkeit der Wolle. Ich wußte nicht warum, aber unerklärlicherweise war alles wieder gut, genau wie sie es gesagt hatte. Schwester Mary Angelina war ein Mensch aus Fleisch und Blut und hatte Gefühle. Als mir das plötzlich bewußt wurde, bedeutete dies das Ende meiner ersten Rebellion gegen die Kirche.
    Irgendwie war alles anders gewesen, als es den Anschein gehabt hatte.
    Haß und Abscheu waren von Güte, Wärme und Freundlichkeit besiegt worden. Und Schwester Mary Angelina hatte sich verwandelt. Sie war zu jemandem geworden, dem man vertrauen konnte. Ich wollte ihr plötzlich nahe sein, ganz nahe, wollte mich an sie klammern, ihre Wärme, ihre Zuneigung, ihre Umarmung spüren.
    Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, daß damals, in diesen Minuten, die große Verführung begonnen hatte.
    Ich war im Halbschlaf, als ich das Klopfen an der Haustür vernahm. Ich riß mich von den Gedanken an die Vergangenheit los, gähnte, und wankte auf schwankenden Beinen unsicher durch den Long Room in die Eingangshalle. Der Polizist rief meinen Namen, während ich mich schlaftrunken der Tür näherte.
    Als ich öffnete, spürte ich, wie mein Herz einen Schlag aussetzte.
    In den Schatten hinter dem Polizisten stand eine Gestalt, deren Umrisse jetzt deutlicher hervortraten, als sie von den Scheinwerfern des Taxis, das gerade wendete, von hinten angestrahlt wurde. Es war die Gestalt einer Frau. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber sie erschien mir sehr vertraut.
    »Sie sagt, sie ist aus Rom gekommen, Mister Driskill«, erklang die Stimme des Polizisten, aber ich hörte gar nicht, was er sagte.
    Ich starrte auf die Gestalt, die hinter ihm stand.
    Es war Val. Doch irgend etwas stimmte nicht, und ich blinzelte, versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Der Schattenriß des Haares, die Größe, die Figur, die Frau, die dort stand und jetzt wieder in Dunkel getaucht wurde, als die Scheinwerfer des Taxis vorübergehuscht waren: Val.
    Sie trat vor, in das Licht der Eingangshalle.
    »Ben«, sagte sie. »Ich bin’s, Schwester Elizabeth.«

4 DRISKILL
    Schwester Elizabeth.
     
    Wir standen uns im Long Room gegenüber. Das Licht der Flammen im Kamin tanzte über ihr Gesicht, zeichnete die Konturen nach, leuchtete in ihren grünen Augen.

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