Assassini
glauben.«
»Und jetzt fragen Sie sich, ob die Mutter Gottes ein guter Grund war, aus dem Orden auszutreten?«
»Ich bereue nur, daß ich sie als Vorwand benutzt habe. Es gab viel bessere Gründe.«
Sein Lächeln hatte den Ausdruck der Unnahbarkeit verloren. »Soviel zu Ihrer Autobiographie. Kommen Sie, schauen Sie sich das Gemälde Ihres Vaters an.«
Ich ging zur Staffelei hinüber und knipste eine weitere Lampe an, und dann sah ich Kaiser Konstantin, wie er das Zeichen am Himmel erblickte. In seinem kraftvollen, naiven Stil hatte mein Vater jenen Augenblick eingefangen, der die Geschichte der abendländischen Welt für alle Zeiten verändert hatte. Monsignore Sandanato betrachtete die Leinwand, das Kinn auf eine Hand gestützt, und blinzelte durch den Rauch, der von der Zigarette aufstieg, und dann begann er zu reden, als wäre ich gar nicht mehr anwesend, als würde er einem Heiden darüber berichten, was vor langer, langer Zeit an einer Straße nach Rom passiert war. Er redete über die blutige, bewegte Geschichte der Kirche …
Die Kirchengeschichte, so Sandanato, war schon immer wie ein überladener, verwirrender Bildteppich gewesen – voll schreiender, qualvoll verzerrter Gesichter und gehäutetem Fleisch, vollgesogen im Dreck aus hemmungslosem Ehrgeiz und Habgier und Bestechlichkeit, aus Intrigen und Ranken und Verschwörertum, Blut und Gewalt und marschierenden Armeen. Es war immer notwendig gewesen, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Güte, dem Glauben und der Hoffnung einerseits, die die Kirche den Menschen darbot, und andererseits den Verlockungen des weltlichen Lebens, dem Bösen und der Macht. Hoffnungen und Versprechungen machten eine ansonsten unerträgliche Existenz irgendwie erträglich. Gleichgültig, wen die Kirche zu irgendeinem Zeitpunkt foltern und töten ließ – es waren Menschen, die diese grausame Arbeit verrichteten, Menschen und nicht der Glaube, für den die Kirche stand. Gute und schlechte Menschen hat es immer gegeben und wird es immer geben, aber der Glaube daran, daß Christus für unsere Sünden gestorben ist, daß die Menschen in ihrer Schwäche und Sündhaftigkeit auf ewig von Christus erlöst worden sind und Rettung in ihm finden können – die Heilsbotschaft war immer das Entscheidende gewesen. Das Gute ist stärker, immer und ewig, so lehrt man uns, aber zu manchen Zeiten wird diese Botschaft angezweifelt. Wie mir persönlich schien, eher zu den meisten Zeiten.
»Bis zum siebenundzwanzigsten Oktober des Jahres dreihundertundzwölf«, sagte Sandanato, »wußte jeder, der sich zum christlichen Glauben bekannte, nur zu gut, was ihn erwarten mochte. Die Fronten zwischen Heidentum und Christentum waren klar abgesteckt. Man konnte einem Löwen zum Fraß vorgeworfen werden oder sein Leben an Hand- und Fußgelenken angekettet verbringen; vielleicht wurde man vom römischen Pöbel als Zeitvertreib und zur Belustigung auf offener Straße zu Tode geprügelt, oder man wurde als abschreckendes Beispiel am Rande einer römischen Straße gekreuzigt, aber man konnte jedenfalls sicher sein, wie es zwischen einem Christen und dem Rest der Welt bestellt war. Reichtum, Macht und Müßiggang verkörperten das Böse – und Armut, das Vertrauen in Gott und der Glaube an die Heilsbotschaft waren die bestimmenden Dinge schon des frühchristlichen Lebens.« Dieser Vortrag war vielleicht Sandanatos Vorstellung von einem angeregten mitternächtlichen Gespräch unter Männern, nicht die meine, aber ich mußte zugeben, daß all dies verschüttet geglaubte Erinnerungen in mir wachrief. Es vermittelte mir ein seltsam tröstliches Gefühl, da gab es nichts zu leugnen. Ich nippte an meinem Cognac und hörte Sandanato weiter zu.
27. Oktober 312.
Konstantin, einunddreißig Jahre alt, der sechs Sprachen fließend beherrschte, wie überliefert ist, ein heidnischer Kriegerkönig, der das Weströmische Reich von Schottland bis zum Schwarzen Meer regierte, bereitete sich auf die entscheidende Schlacht gegen Maxentius vor, der Rom besetzt hielt – die Schlacht an der Milvischen Brücke. Bei Einbruch der Dämmerung, wohl wissend, daß der nächste Morgen Blut und Tod und Greuel bringen würde, hatte Konstantin eine Vision … und die Welt war seit jener Stunde ein vollkommen anderer Ort. Am Himmel, rötlich-golden im Glanz der untergehenden Sonne, sah er das Kreuz Jesu, und er hörte eine Stimme, so wie Paulus sie einst auf der Straße nach Damaskus vernommen hatte. › In hoc signo vinces –
Weitere Kostenlose Bücher