Assassini
anschließen; er verkündete eine bürgerlichrechtliche Verfassung – alles in dem Bemühen, die Schrecken des letzten Vierteljahrhunderts vergessen zu lassen. Doch es war vergeblich. Die geschichtliche Entwicklung überrollte ihn. Die Menschen wollten die Zukunft, nicht die Vergangenheit, und die Zukunft lag nicht darin, sich zum Papst und dessen Kirchenstaat zu bekennen, sondern zur neuen italienischen Nation.
Mit dem Mordanschlag auf den Ministerpräsidenten des Kirchenstaates, Pellegrino Graf Rossi, war ein Höhepunkt erreicht. Als Rossi an einem Novembertag des Jahres 1848 den Haupteingang am Ende der berühmten Treppe vor dem Quirinalspalast verließ, hatte sich dort eine Menschenmenge versammelt. Plötzlich blitzte ein Dolch in der Hand eines jungen Mannes auf; die Klinge fuhr Rossi in die Kehle, und sein Blut spritzte über die Stufen; der Pöbel jubelte vor schierem Haß … und hinter dem Fenster seines Arbeitszimmers stand Pius und mußte diese Szene hilflos mit ansehen.
Nun gab es keine weltliche Zuflucht mehr, kein Heer, das man gegen Feinde vorrücken lassen konnte, die die Macht des Papsttums angriffen. Silvester I., Leo II., Gregor VIII., Clemens VII. -sie alle konnten der weltlichen Herausforderung standhalten, indem sie militärische Hilfe herbeiriefen.
Im Jahre 1869 schließlich war das Papsttum de facto zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die Londoner Times bezeichnete es als ›den endgültigen Niedergang dieser ehrwürdigen Institution‹
Nur selten in all den Jahrhunderten, die vergangen waren, seit Konstantin seine Vision gehabt hatte, war die Kirche in einer so ernsten Situation gewesen; aber Pius hatte noch eine Trumpfkarte, und es blieb ihm keine Wahl, als sie nun auszuspielen. Er berief sich auf die Macht, die Jesus dem Petrus übertragen hatte, die Macht des Heiligen Geistes. Am 18. Juli 1870 wurde auf der Schlußsitzung des Ersten Vatikanischen Konzils das Dogma der Unfehlbarkeit verkündet: Der Papst, als Nachfolger Petri, trifft unter Beihilfe des Heiligen Geistes irrtumsfreie Lehrentscheidungen in Sachen des Glaubens und der Sitten. Pius betrachtete sich von nun an als Stimme Gottes in Moral- und Glaubensfragen, eine Stimme, die sich nicht irren konnte; er war die höchste Instanz, der man zu Gehorsam verpflichtet war. Und als Folge des zweiten Dogmas, des Universalepiskopats, wurde dem Papst die ordentliche und unmittelbare Gewalt über die ganze Kirche und sämtliche Einzelkirchen zugesprochen. Damit hatte das Konzil den Papst zum obersten geistigen Führer und zur höchsten Autorität auf Erden ernannt.
Dennoch haftete diesen Dogmen ein unglaubwürdiger Beigeschmack an, und niemand wußte das besser als Pius. Und wenn auch die geistige Schlacht gewonnen sein mochte – in der diesseitigen Welt hatte man die Schlacht mit den weltlichen Mächten ohnehin verloren.
Diese Aussage war keine bloße Metapher. Diese Schlacht hatte tatsächlich stattgefunden, und die Franzosen, die vor dem preußischen Vormarsch im deutsch-französischen Krieg 1870/71 zurückweichen mußten, räumten Rom am 19. August 1870. General Kanzlers Armee – weniger als viertausend Mann – war die einzige Streitmacht, die noch zwischen der Bastion des letzten Papst-Königs und General Cadornas italienischer Nationalarmee stand, die sechzigtausend Mann stark war und weniger als einen Tagesmarsch vor den Mauern Roms stand. Pius, in eine ausweglose Lage gedrängt und ohne Fluchtmöglichkeit, gab den Befehl, nur symbolischen Widerstand zu leisten und dann zu kapitulieren.
König Viktor Emanuel, Oberhaupt des neuen italienischen Staates, hatte gesiegt. Rom wurde Hauptstadt Italiens. Am 20. August, bei Sonnenaufgang, eröffneten die italienischen Kanonen das Feuer.
Weniger als fünf Stunden später wehte die weiße Kapitulationsflagge von der Kuppel des Petersdoms. Um der Eroberung Roms keinen legalen Anstrich zu geben, lehnte Pius Verhandlungen mit Vertretern des neuen Italien ab; er zog sich in den Vatikan zurück.
Im Oktober 1870 wurde im Kirchenstaat eine Volksbefragung durchgeführt. 132681 Stimmberechtigte sprachen sich für einen Beitritt zur Republik Italien aus, bei nur 1505 Gegenstimmen. Die italienische Regierung erließ im Mai 1871 ein Garantiegesetz: Die Person des Papstes wurde für souverän und unverletzlich erklärt, doch er war nun Herrscher in einer arg geschrumpften Welt, die fortan nur noch aus dem Vatikan, dem Lateran und der Sommerresidenz Castel Gandolfo bestand, wobei dies alles Pius
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