Assassino
den Eindruck erweckte, als schwebe sie über den Boden, anstatt darauf zu gehen.
»Sie sind die Besucher, die Faruk Sen uns angekündigt hat?«, fragte sie mit einem Lächeln.
»So ist es«, erwiderte Chris. »Mein Name ist Chris Montiel, das ist Kati Bergman und das hier unser Freund Ilyas.«
»Sehr erfreut. Ich bin Paola Contini.« Sie schüttelte ihnen der Reihe nach die Hand, wobei sie Ilyas besonders intensiv musterte. Kati gefiel nicht, wie sie ihn ansah. Ihr Blick war zugleich abschätzend und vereinnahmend. Paola war nur wenige Jahre älter als sie, vielleicht zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahre, aber ihr ganzes Verhalten war das einer erwachsenen, lebenserfahrenen Frau. Und sie war sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst.
»Sie wundern sich vielleicht, was eine Italienerin hier macht«,erklärte Paola, während sie die Freunde um das Gebäude herum zu einem Seiteneingang führte. »Ich bin Studentin für Orientalische Frühgeschichte und absolviere hier ein Praktikum im Museum. Deshalb ist mir auch die Ehre zugefallen, Sie zu betreuen. Eine willkommene Abwechslung vom Teekochen und Dienstgängemachen.«
Sie lachte, als sie Katis Erstaunen bemerkte. »Der Praktikant fängt immer ganz unten an. Das war die erste Lektion, die ich gelernt habe. Da helfen Ihnen die besten Zeugnisse und Empfehlungen nichts.«
Kati sah, dass Ilyas seine Augen nicht von Paola ließ. Und es schien ihr nicht die übliche Neugier zu sein, mit der er sonst alles beobachtete, was für ihn neu war. Auch Chris hing an den Lippen ihrer Führerin. Es war, als habe sie einen unsichtbaren Zauber über ihre beiden Begleiter gelegt, der sie alles außer ihr vergessen ließ.
Sie kam sich in der Gegenwart der Studentin wie ein Trampel vor. Sie hatte von Frauen gelesen, die diese Wirkung auf Männer hatten, war aber noch nie einer begegnet. Zum Glück, denn es war nicht schön, sich so klein und hässlich zu fühlen.
Paola hielt vor einer unscheinbaren Holztür, die elektronisch verriegelt war. Sie fischte eine Magnetkarte aus der Hosentasche, zog sie durch das Lesegerät und tippte einen Zahlencode ein. Mit einem leisen Klicken sprang die Tür auf.
Durch ein Gewirr von Gängen und Treppen gelangten sie schließlich in einen großen, fensterlosen Raum, in dem ein paar Tische und Stühle zwischen massiven Stahlschränken standen, die jede verfügbare Wandfläche verdeckten. Irgendwo war das Brummen einer Klimaanlage zu hören, und grelleNeonleuchten tauchten die Szenerie in ein kaltes Licht. Auf einem der Tische stand ein Computer, ansonsten war kein weiteres Inventar zu sehen.
»Willkommen in der Recherchehölle«, lächelte Paola.
Kati und Chris stellten ihre Taschen ab. »Das ist der Katalog, nehme ich an«, fragte Chris und deutete auf den Monitor.
»Ganz recht. Wir sind immer noch damit beschäftigt, alle Bestände systematisch zu erfassen. Deshalb können Sie mir sagen, was Sie sehen wollen, und ich werde schauen, ob ich es irgendwo aufspüre.«
Ilyas strich mit der Hand über einen der Stahlschränke. »Was ist hier drin?«, fragte er.
»Lass mal sehen.« Paola trat neben ihn und berührte dabei wie unabsichtlich seine Schulter, was Kati nicht verborgen blieb, ebenso wenig wie das vertrauliche »Du«.
Paola zog eine Schublade auf und holte ein in Plastik eingeschlagenes Buch heraus, das sie auf eine Lesefläche legte, die sich zwischen den Schubfächern herausziehen ließ. Sie zog ein Paar dünne weiße Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über, bevor sie die Schutzhülle öffnete und das Buch entnahm.
Kati trat neben sie. Paola schlug vorsichtig den braun gescheckten, leicht modrig riechenden Buchdeckel zurück, sodass man den Titel lesen konnte. Er lautete:
Das
meuchelmörderische
Reich
der
Assassinen,
von
Joh. Phil. Lorenz Withof,
Joh. Hildebr. S.
der Arzney Doctor und Professor zu Hamm,
von der Königl. Großbritann. Akademie der Wissensch.
wie auch einiger gel. teutschen Gesellsch.
Mitglied.
Cleve, 1765
»Das ist mein Spezialgebiet«, erklärte Paola, während sie vorsichtig die Seiten des Buches umblätterte.
»Die Assassinen?«, fragte Kati.
Die Studentin hob den Kopf und lächelte sie freundlich an.
Zu
freundlich, fand Kati. Sie nahm ihr diesen unschuldigen Blick nicht ab. Da steckte mehr dahinter.
»Genau«, sagte Paola. »Das Museum verfügt über eine der größten Sammlungen an Aufzeichnungen und Artefakten, die mit den Assassinen zu tun haben.«
»Wer sind die Assassinen?«, meldete
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