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Assassino

Assassino

Titel: Assassino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Luft segelte, stürzte sich gleich ein halbes Dutzend Vögel darauf, um ihn möglichst noch vor der Wasseroberfläche abzufangen.
    Ein Teeverkäufer kam mit einem verbeulten Tablett vorbei, auf dem Gläser mit der goldenen Flüssigkeit standen. Seamus drückte ihm ein paar Münzen in die Hand und nahm zwei der tulpenförmigen Gläser auf den gewölbten Untertassen und hielt sie Kati und Chris hin. Anschließend bediente er sich selbst. Sie balancierten die Gläser in der einen Hand, ließen mit der anderen die Zuckerwürfel hineinfallen und rührten um.
    Hinter ihnen wurde die Altstadt mit ihren Kuppeln und Minaretten, den Palästen und Moscheen kleiner und kleiner. »Immer wieder faszinierend«, murmelte Seamus. »Es dauert nicht länger als ein Glas Tee, und man steht auf asiatischem Boden.«
    Und tatsächlich hatten sie die Teegläser kaum geleert, als die Fähre auch schon den Anleger von Üsküdar erreichte. Hier wiederholte sich das Gedränge vom anderen Ufer, undein ungeduldiger Matrose nahm ihnen die Gläser ab und scheuchte sie hinter der Menge her.
    Sie stiegen in eines der wartenden Taxis, und Seamus, der recht gut Türkisch konnte, nannte dem Fahrer die Adresse. Die Straßen und Gehsteige waren hier nicht so voll wie auf der europäischen Seite und sie gelangten schnell an ihr Ziel. Die Bibliothek lag in einer schmalen Nebenstraße. Es war ein nüchterner, ockergelb gestrichener Bau, dessen Fassade keinerlei Verzierungen aufwies. Der einzige Hinweis, dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Wohnhaus handelte, war die breite Steintreppe, die zu einer mächtigen zweiflügligen Eingangstür aus poliertem Holz emporführte, in deren oberen Teil ein verschnörkeltes Muster aus kunstvoll gebogenem Glas und Metall eingelassen war.
    Der Bibliothekar, dem ihr Besuch von Faruk Sen angekündigt worden war, erwartete sie bereits. Er führte sie durch einen gefliesten Flur, in dem es angenehm kühl war, in einen holzvertäfelten Lesesaal mit mehreren Dutzend Arbeitsplätzen, die alle unbesetzt waren. Chris stieß einen erstaunten Pfiff aus.
    »Jaja«, seufzte der Bibliothekar, ein kleiner, spitznasiger Mann, der nach Mottenkugeln roch und das Pensionsalter schon längst erreicht hatte, »niemand interessiert sich mehr für Geschichte. Früher war das anders. Es gab Zeiten, da musste man sich anmelden, wenn man einen Platz haben wollte. Aber heute   … «
    Er machte eine Handbewegung, um seiner Hoffnungslosigkeit Ausdruck zu verleihen, dass sich die Verhältnisse zu seinen Lebzeiten noch einmal ändern könnten. Dann deuteteer auf einen Tisch, auf dem schon mehrere Stapel alte Bücher auf sie warteten. Es waren vorwiegend Journale und Inventarlisten von Kaufleuten, die allesamt in schweres Leder gebunden waren.
    Nachdem sie sich für seine Hilfe bedankt hatten, zog sich der Bibliothekar zurück. Jeder von ihnen nahm sich einen Band mit zu einem der Lesetische. Kati legte eine Digitalkamera auf den Tisch, mit der sie interessante Seiten fotografieren konnten. Dann machten sie sich an die Arbeit. Seamus hatte sich vom Bibliothekar einige Bände mit alten Stichen zur türkischen Geschichte bringen lassen, die er studierte.
    Nachdem sie etwa eine Stunde schweigend gearbeitet hatten, erhob sich der Ire.
    »Ich muss mal kurz telefonieren«, sagte er. Kati nickte geistesabwesend, aber Chris blickte ihm mit gerunzelter Stirn hinterher. Als der Ire nach fünf Minuten noch nicht zurückgekommen war, stand er ebenfalls auf.
    »Ich gehe mal ein wenig frische Luft schnappen«, erklärte er. Ob Kati das mitbekommen hatte, wusste er nicht, denn sie studierte hoch konzentriert ein altes Wareneingangsbuch. Wenn sie so vertieft in etwas war, dann existierte die Welt um sie herum nicht mehr.
    Chris lief den verlassenen Flur entlang, vorbei an den Ölgemälden, welche die ehemaligen Bibliotheksleiter abbildeten. An der Tür hielt er an und spähte durch eine der kleinen Glasscheiben nach draußen. Von Seamus war nichts zu sehen. Vorsichtig zog er die Tür einen Spalt auf und glitt hindurch. Gegen das Holz gedrückt, suchte er die Umgebung ab. Wenn jemand telefonierte, dann blieb er doch in der Nähe und spaziertenicht um den Block! Oder hatte der Ire eine Telefonzelle gesucht? Das war unwahrscheinlich.
    Chris wollte schon die Stufen zum Gehsteig hinunterlaufen, als er Seamus etwa hundert Meter vor sich die Straßenecke umrunden sah. Er war nicht allein, sondern in Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes, dessen Gesicht Chris auf die

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