Assassino
aufmerksam. »Sie sind kein Europäer«, stellte er fest.
»Aber er spricht recht gut Englisch«, sagte Kati.
»Das mag sein. Aber in einer Regressionshypnose kann es vorkommen, dass der Patient in der Sprache erzählt, mit der er aufgewachsen ist. Wissen Sie etwas darüber?«
»Seine Muttersprache könnte eine Version des Farsi sein.«
Guégen zog die Augenbrauen hoch. »Und wie kommen Sie darauf?«
»Er hat so gesprochen, als wir uns das erste Mal begegnet sind.«
»Ausgesprochen bemerkenswert. Sie verstehen also Farsi?«
»Ein wenig. Ich war ein paar Wochen im Iran.«
Der Alte lehnte sich zurück, ließ Kati aber nicht aus den Augen. »Ich kenne eine Reihe von Menschen, die für einpaar Wochen oder sogar Monate im Iran waren und außer ›Danke‹ und ›Bitte‹ sowie ein paar Grußformeln kein Wort Farsi sprechen. Bemerkenswert«, wiederholte er.
»Aber wir sind ja wegen Ilyas hier«, versuchte Kati die Aufmerksamkeit von sich abzulenken.
»Ilyas heißt du also. Ich darf doch ›Du‹ zu dir sagen?« Ilyas nickte. »Sehr schön. Ich werde dich gleich kurz untersuchen und dann können wir auch schon beginnen.« Er wandte sich wieder an Kati. »Ich nehme an, Sie wollen der Sitzung beiwohnen?«
»Wenn es möglich ist … «
Guégen wiegte den Kopf hin und her. »In der Regel arbeite ich alleine und zeichne das Geschehen auf Video auf.« Er deutete auf eine Videokamera, die unter der Zimmerdecke befestigt war. »Aber wenn Sie mir versprechen, sich nicht zu rühren und vor allen Dingen nicht zu sprechen, dann kann ich wohl eine Ausnahme machen.«
Als sie ihre Teetassen geleert hatten, stand der Alte auf und zog die schweren Vorhänge vor den beiden Fenstern zu, sodass der Raum nur noch schwach erleuchtet war. Dann bat er Ilyas, zu ihm zu treten. Er maß seinen Pulsschlag, leuchtete ihm mit einer dünnen Taschenlampe in die Augen und klopfte ihm, nachdem er Ilyas in einen Sessel gebeten hatte, mit einem Metallhammer gegen das Schienbein. Die Resultate schienen ihn zufriedenzustellen. Er zog einen hohen Holzschemel heran, setzte sich gegenüber von Ilyas hin und knipste eine Lampe an, die neben dem Sessel auf einem Tischchen stand und ein warmes, behagliches Licht erzeugte. Anschließend holte er eine kleine Fernbedienung aus der Tasche undbetätigte sie. Ein rotes Lämpchen neben der Linse zeigte an, dass die Videokamera aktiviert war.
»Ab jetzt bitte kein Wort mehr«, ermahnte er seine Gäste. Er zog einen silbernen Stift aus der Tasche und hielt ihn Ilyas vor die Augen.
»Ich werde jetzt diesen Stab langsam hin- und herbewegen«, erklärte er. »Immer, wenn ich ihn nach rechts neige, möchte ich, dass du kurz deine Augen schließt, sie aber dann sofort wieder öffnest. Hast du das verstanden?«
Ilyas nickte. Unmerklich begann Guégen den Stab vor Ilyas’ Augen zu bewegen. Dabei stieß er einen leisen Brummton aus, der wie ein lang gezogenes »Ommmmm« klang.
Nach einiger Zeit sagte er mit ruhiger Stimme: »Du bist nun ganz entspannt, Ilyas, und ganz ohne Furcht. Du wirst jetzt die Augen schließen und gemeinsam mit mir zurückgehen in deinem Leben. Ich werde dich auf jedem Schritt begleiten, und wenn es dir unangenehm wird, kehren wir sofort zurück. Bist du bereit?«
Guégen steckte den silbernen Stab ein. »Wir gehen nun zurück in der Zeit. Ganz langsam, bis zu einem Moment in deiner Kindheit, an den du dich gut erinnern kannst. Und wenn du so weit bist, dann berichtest du mir, was du siehst und was du erlebst. Nimm dir Zeit, ganz ruhig, wir haben keine Eile. Zurück, zurück, noch ein wenig zurück. Bist du bereit?«
Und Ilyas begann zu erzählen.
Ilyas' Geschichte 1
1.
Eine Schar von Kindern tanzt johlend um den alten Mann auf dem Esel herum, der soeben den Brunnen am Rand des Dorfes passiert. Der Staub des Weges bedeckt nicht nur seine Kleidung, sondern auch sein faltiges, sonnengegerbtes Gesicht.
Er bringt den Esel zum Stehen und winkt einen der Jungen zu sich heran.
Der Junge bin ich.
»Wo finde ich den Ortsvorsteher?«, fragt der Alte.
Ich deute auf ein Haus, vor dem ein Holzgestell mit Schaffellen steht.
»Ihr findet ihn dort, ehrwürdiger Herr«, sage ich. Dabei studiere ich das Gesicht des Alten. So unscheinbar er auch auf den ersten Blick aussieht, in seinen Augen glüht ein Feuer, das es nicht ratsam erscheinen lässt, sich mit ihm anzulegen. Ich kenne diesen Blick. Schon häufiger sind Prediger durch das Dorf gekommen, die mit großem Eifer versuchten, die Bewohner für
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