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Assassino

Assassino

Titel: Assassino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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ihre jeweilige Sekte zu gewinnen. Sie alle haben dieses Funkeln in den Augen gehabt, an dem man ihre Besessenheit erkennen konnte.
    Dieser Mann ist nicht anders. Er mag älter sein als seineVorgänger, aber gewiss ist er nicht weniger von seiner Mission überzeugt als diese.
    Der Alte beugt sich vor. »Wie heißt du?«
    Hilfe suchend schaue ich mich um. Meine Freunde, die eben noch neben mir standen, sind mehrere Schritte vor dem Neuankömmling zurückgewichen.
    Ich bin auf mich allein gestellt.
    Verlegen starre ich auf meine nackten Füße und wünsche mir, ich sei an einem anderen Ort. Ich will dem Fremden meinen Namen nicht nennen. Manche der Prediger, die durch das Dorf kamen, verfügten angeblich über magische Kräfte, und wenn der Alte auf dem Esel meinen Namen kennt, ist er vielleicht in der Lage, mich in seinen Zauberbann zu schlagen.
    »Nun, hat dir ein Djinn deine Zunge gestohlen?«, fragt der Mann.
    Langsam hebe ich meinen Kopf. »Ilyas«, murmele ich, ohne dem Alten in die Augen zu blicken.
    Der Alte brummelt etwas für mich Unverständliches vor sich hin. Dann setzt sich sein Esel zu meiner großen Erleichterung in Bewegung. Erst jetzt wage ich, den Kopf ganz zu heben. Ich blicke dem Neuankömmling nach, wie er auf das Haus des Ortsvorstehers zutrabt.
    »Du bist verflucht, Ilyas!« Das ist Naseem, einer meiner Freunde, die jetzt, da die Gefahr vorbei ist, wieder näher herangekommen sind. »Verflucht, verflucht«, echoen die anderen grinsend.
    »Ihr seid mir schöne Freunde!« Meine Angst entlädt sich in Wut. »Feiglinge seid ihr, die einen der Ihren beim kleinstenAnzeichen von Gefahr im Stich lassen! Pah!« Ich spucke Kurus, der mir am nächsten steht, vor die Füße.
    Das schert die anderen nicht. Lachend versetzen sie mir ein paar Knuffe, bis ich nicht mehr an mich halten kann und mich auf Naseem stürze. Im Nu liegen wir im Staub, ein Gemenge von Armen und Beinen, und wer weiß, was wir uns angetan hätten, wenn die anderen nicht dazwischengegangen wären.
    Das Gerangel hat meine Anspannung gelöst. Während ich mir den Sand von den Ärmeln klopfe, bedrängen mich meine Freunde mit Fragen:
    »Wer war das?«
    »Was wollte der Alte von dir?«
    »Was hast du zu ihm gesagt?«
    »Was will er hier?«
    Aber ich will ihnen nicht antworten, weil sie mich so verspottet haben, und winke ab.«Fragt ihn doch selbst, wenn ihr euch traut », sage ich. Aber dazu mag sich keiner durchringen. Wortlos starren wir dem Fremden hinterher, der vor dem Haus des Ortsvorstehers von seinem Esel klettert. Der dicke Farzin, dem das Amt eher zufällig zugefallen ist, weil auch sein Vater und Großvater diese Position innehatten, tritt aus der Tür und begrüßt den Besucher mit einer tiefen Verneigung. Dann verschwinden beide im Haus.
    »Wer ist zuerst bei den Ziegen?«, schreit Aschkan, mit seinen acht Jahren der jüngste in unserer Runde, und im Nu haben die anderen den merkwürdigen Besucher vergessen. Wir rasen den Hügel empor, an dessen Flanke unser Dorf liegt.
    Nachdem wir die Ziegen von der Weide ins Dorf getrieben haben, wo sie von den Frauen gemolken werden, spielen wir noch eine Weile mit der Lederkugel, die mein Onkel für uns angefertigt hat, bevor die meisten den Rufen ihrer Mütter folgen und sich zum Abendessen in ihre Häuser begeben. Auch ich gehe nach Hause.
    Meine Eltern leben nicht mehr. Seit vier Jahren wohne ich bei meinem Onkel Jamshed und meiner Tante Gul, die selbst keine Kinder haben und mich wie ihren eigenen Sohn aufziehen. Ihr Haus liegt am anderen Ortsausgang, dort, wo die Straße zum prachtvollen Buchara und zum legendären Samarkand führt, den goldenen Städten, von denen ich seit vielen Jahren träume. Wie oft habe ich gebannt den Reisenden gelauscht, die im Chan, dem kleinen Gasthof meines Onkels, übernachten und von der atemberaubenden Schönheit jener Orte erzählen. Wenn ich groß bin, dann werde ich auch auf Reisen gehen und die Pracht, welche die Welt zu bieten hat, mit eigenen Augen bewundern.
    Als ich das Haus betrete, hat Gul bereits den Tisch mit frisch gebackenem Fladenbrot, Schalen und Löffeln gedeckt. Onkel Jamshed kommt vom Hof herein und wischt sich die Hände an der Hose ab. »Wir bekommen gleich noch einen Gast«, sagt er. »Es ist ein Prediger der Ismailiten, der sich derzeit noch mit Farzin unterhält.«
    Ich zucke zusammen. Der Alte? Hier? Ich hätte es mir denken können. Es gibt keinen anderen Gasthof in der Nähe als den meines Onkels, und der nächste größere Ort

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