Assassino
liegt mehr als eine Tagesreise entfernt. Wo sonst soll der Fremde ein Nachtlager finden?
Fieberhaft überlege ich, wie ich dem Mann aus dem Weg gehen kann. Seine Ankunft verheißt nichts Gutes, das spüre ich mit jeder Faser meines Körpers. Es ist eine Ahnung, die ich mir selbst nicht erklären kann. Mein Atem geht schneller und der Schweiß bricht mir aus. So war es auch, kurz bevor die Nachricht vom Tod meiner Eltern eintraf.
Ich weiß, es naht ein großes Unheil. Und es hängt mit diesem Alten auf seinem klapprigen Esel zusammen.
Meine Tante füllt die Schalen mit einer fettigen, dickflüssigen braunen Brühe, in der kleine Fleischstücke schwimmen. Mein Appetit hat mich verlassen, aber ich weiß, wenn ich nicht aufesse, lassen sie mich nicht weg. So stopfe ich das Essen in mich hinein, und schon bald wische ich mit den letzten Brotstücken die Schüssel aus. Dabei beobachte ich immer wieder die Tür.
»Hast du heute noch was vor?«, fragt Jamshed, dessen Schale noch halb voll ist, argwöhnisch. Sein breiter Schnurrbart glänzt vor Fett. Meine Unruhe ist ihm nicht verborgen geblieben.
Ich schüttle den Kopf. »Ich bin nur müde und möchte schlafen gehen.« Meine Beine zucken unter dem Tisch, und am liebsten würde ich aufspringen und in mein Zimmer im ersten Stock flüchten, aber das würde meinen Onkel natürlich nur noch misstrauischer machen.
Aber es ist bereits zu spät. Genau in dem Augenblick, in dem auch Jamshed endlich das letzte Tröpfchen Fett aus seiner Schale getilgt hat, verdunkelt ein Schatten die Tür, und der dicke Farzin tritt ein, gefolgt von dem Fremden. Sofort springt mein Onkel auf und verneigt sich ehrerbietig vor denbeiden. Farzin deutet eine Verbeugung an und macht eine ungeduldige Handbewegung, die Jamshed bedeutet, sich wieder zu setzen.
Während er und der Fremde ebenfalls Platz nehmen, versuche ich, mich unauffällig davonzustehlen. Ich bin bereits an der Tür, als mich Farzin zurückruft: »Du bleibst schön hier, Junge!«
Der Ortsvorsteher mag keine Kinder, entsprechend unfreundlich ist sein Ton. Schon oft hat er meine Freunde und mich verscheucht, wenn wir am Platz neben dem Brunnen gespielt haben. Wir haben uns im Gegenzug einen Spaß daraus gemacht, ihm alle erdenklichen Spitznamen zu verpassen und ihn, wann immer möglich, zu piesacken. Kleine Steinchen, aus dem Hinterhalt geworfen; Kreidezeichen an der Wand seines Hauses; verschwundene Werkzeuge; ja, einmal ist es uns sogar gelungen, ihm ein Schaffell, das er gerade bearbeitete, vor der Nase wegzustibitzen und zu verstecken. Und weil Farzin weiß, dass ich bei diesen Aktivitäten immer dabei bin, und er mich für den Anführer hält, ist er auf mich besonders schlecht zu sprechen.
Langsam schleiche ich an den Tisch zurück, und obwohl mein Blick starr auf den Boden vor mir gerichtet ist, weiß ich, dass der Fremde mich beobachtet. Ich setze mich auf den Stuhl, der am weitesten entfernt von dem Alten ist.
Gul räumt eilig die Schalen weg und stellt Tassen und Teekanne auf den Tisch. Jamshed schenkt den Gästen ein. Dann ergreift Farzin das Wort. »Der ehrwürdige Dai Ibrahim, der uns mit seinem Besuch in unserem unbedeutenden Dorf ehrt, bringt große Freude in euer Haus. Er kommt von weither, um die begabtesten Jungen des Landes zu suchen und ihnen ein außergewöhnliches Geschenk zu machen.« Er wendet sich seinem Begleiter zu. »Bitte, erlauchter Lehrer, erklärt es uns Nichtswürdigen selbst.«
Der Alte streicht sich durch den Bart und blickt in die Runde. Seine Augen bleiben bei mir hängen und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Aber es ist nicht wirklich freundlich. Dieser Dai ist kein angenehmer Mensch, das habe ich bereits bei unserer ersten Begegnung gemerkt, auch wenn er so tut, als könne er kein Wässerchen trüben.
»Ich komme aus Alamut«, beginnt der Fremde.«Das liegt weit entfernt von Chorasan, aber sicher ist der Ruf dieses Ortes schon bis hierher gedrungen. »
Ich werfe meinem Onkel einen fragenden Blick zu. Der antwortet auf die unausgesprochene Frage des Besuchers: »Alamut ist die mächtigste Festung der Ismailiten, die vor vielen Jahren von Hasan-i-Sabbah errichtet wurde.«
Der Dai nickt anerkennend. »Du bist ein gebildeter Mann, wie ich sehe. Aber Alamut ist nicht nur eine Festung, es ist auch ein Hort der Bildung und Erziehung für die besten jungen Männer unserer Zeit. Unter der Anleitung der hervorragendsten Dais lernen sie dort unsere Geschichte und Kultur kennen,
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