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Assassino

Assassino

Titel: Assassino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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voll und leerte es in einem Zug. Einen Augenblick blieb er bewegungslos stehen, so als lausche er dem Alkohol, der seine Kehle hinunterrann.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte Ilyas.
    »Etwas? Eine ganze Menge stimmt nicht. Ich hatte gehofft, nie wieder mit diesem Menschen zu tun zu haben.«
    Ilyas schwieg. Er wusste, der Alte würde schon von sich aus reden, wenn er dazu bereit war.
    Es dauerte einige Minuten und noch zwei Gläser der goldenen Flüssigkeit, bis Guégen wieder das Wort ergriff.
    »Ich sollte mich nicht so gehen lassen. Du wirst dein Vertrauen in meine ärztlichen Künste verlieren, wenn du siehst, wie ich mit meinen eigenen Problemen umgehe.«
    »Ich wusste nicht, dass Sie Katis Vater kennen«, sagte Ilyas.
    »Das ist eine alte und unerfreuliche Geschichte. Und wie könnte ich sie je vergessen, wenn ich ihr das hier verdanke?«
    Er zeigte auf das Bein, das er nachzog.
    »Bergman hat Ihnen das angetan?«
    »Das und noch viel mehr.«
    »Dann ist er ein böser Mensch?«
    Guégen schloss die Augen. »Gibt es so etwas wie einen guten oder bösen Menschen überhaupt? Oder sind wir nicht alle einmal so und einmal so?«
    »Ich weiß es nicht. Sind Sie ein guter Mensch?«
    »Das sind Fragen, wie sie nur die Jugend stellen kann.« Der Alte stemmte sich wieder aus seinem Sessel hoch. »Aber Schluss damit. Du bist hier, weil
du
einen Rat benötigst und nicht, um die Klagen eines wehleidigen alten Mannes zu hören. Was genau ist nun dein Problem?«
    »Als ich bei der Bruderschaft war, kam es mir so vor, als gehörte ich dazu. Irgendwie war es wie ein Heimkommen. Sie waren ein Teil von mir, so wie ich ein Teil von ihnen war.Und selbst jetzt empfinde ich noch so, obwohl sie mich töten wollten. Ich weiß nicht, ob ich sie verraten darf, denn dann würde ich   … «
    »   … würdest du dich selbst verraten«, vollendete Guégen seinen Satz. »Das nennt man Loyalität.«
    »Aber ist das gut oder schlecht?«
    Der Psychiater seufzte. »Damit sind wir wieder beim Thema von vorhin angelangt. Die Antwort ist auch hier nicht eindeutig. Zu denen zu stehen, die einem wie eine Familie sind und von denen man weiß, dass sie dasselbe auch für einen selbst tun würden, das ist erst mal eine gute Sache. Schwierig wird es, wenn sie etwas planen, was man selbst als unethisch auffasst.«
    »Ich weiß nicht einmal, was sie vorhaben. Ich habe nur das Foto von Katis Vater gesehen.«
    »Aber sie haben versucht, dich umzubringen. Damit haben sie die Grundregel der Loyalität gebrochen. Warum solltest du dich also ihnen gegenüber loyal verhalten?«
    »Ich weiß es nicht.« Ilyas war ebenfalls aufgesprungen. »Es ist ein Gefühl. Als ob ich ein ehernes Gesetz brechen würde, wenn ich sie verrate.«
    »Dann kann es durchaus sein, dass dieses Gefühl etwas mit deiner Vergangenheit zu tun hat. Vielleicht sollten wir doch noch einmal etwas in deiner Erinnerung forschen, falls du jetzt Zeit dazu hast. Danach kann ich dir sicher auch einen besseren Rat geben als jetzt.«
    Der Alte schloss die Vorhänge, knipste die Lampe an, setzte die Videokamera in Aktion und bat Ilyas in den Sessel.
    Wenige Minuten später begann Ilyas zu erzählen.

Ilyas' Geschichte 2

1.
    Alamut ist eine Welt für sich.
    Wir haben hier alles, was wir zum Leben brauchen: Tuchmacher, Färber, Schneider, Korbflechter, Schuster, Topfmacher, Bogenbauer, Schwertschmiede, Schreiner, Köche, Bauern, Lehrer. Es herrscht den ganzen Tag ein emsiges Leben und Treiben in der Festung. Boten kommen und gehen, Reiterabteilungen galoppieren den steilen Weg, der zur Burg führt, hinauf oder hinab, Kämpfer üben sich im Messerwerfen oder Bogenschießen, Händler mit oder ohne Packtiere stapfen den Weg empor und rufen lautstark ihre Waren aus, um die sich zahlreiche Frauen drängen.
    Wir hören das, aber wir nehmen nicht teil daran.
    Wir – das sind die Kinder und Jugendlichen, die von den Dais aus allen Teilen des Landes zusammengeholt worden sind, um zu Kämpfern ausgebildet zu werden.
    Jeden Morgen um sechs Uhr beginnt unser Tag. Wir werden aus unseren Schlafsälen getrieben und nach dem Waschen und einem kargen Frühstück fängt der Unterricht an. Wir lernen Schreiben und Lesen, Geografie und Geometrie, Rechnen und Astronomie. Aber vor allem lernen wir das Kämpfen.
    »Ihr seid jetzt Fedajin, Krieger für den Glauben und für den Imam«, erklärt uns Dai Dahwud, der uns die Grundlagen des Kampfes beibringt. »Dafür braucht ihr nicht nur einen geschmeidigen Körper, sondern auch

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